Warum die Wohnungslosigkeit explodiert – von Thorben Peters

Shownotes

Die Wohnungslosigkeit in Deutschland ist innerhalb eines Jahres um 11 Prozent angestiegen. Das ist die Folge einer Politik, die Menschen in die Prekarität drängt und Wohnungslose lieber aus Innenstädten räumt, als ihnen aus der Misere zu helfen.

Artikel vom 12. Dezember 2025: https://jacobin.de/artikel/wohnungslosigkeit-prekaritaet-drogen-verdraengung

Seit 2011 veröffentlicht JACOBIN täglich Kommentare und Analysen zu Politik und Gesellschaft, seit 2020 auch in deutscher Sprache. Die besten Beiträge gibt es als Audioformat zum Nachhören.
Nur dank der Unterstützung von Magazin-Abonnentinnen und Abonnenten können wir unsere Arbeit machen, mehr Menschen erreichen und kostenlose Audio-Inhalte wie diesen produzieren. Und wenn Du schon ein Abo hast und mehr tun möchtest, kannst Du gerne auch etwas regelmäßig an uns spenden via www.jacobin.de/podcast.

Zu unseren anderen Kanälen:
Instagram: www.instagram.com/jacobinmag_de
X: www.twitter.com/jacobinmag_de
YouTube: www.youtube.com/c/JacobinMagazin
Webseite: www.jacobin.de

Transkript anzeigen

00:00:00: Warum die Wohnungslosigkeit explodiert?

00:00:04: Die Wohnungslosigkeit in Deutschland ist innerhalb eines Jahres um elf Prozent angestiegen.

00:00:09: Das ist die Folge einer Politik, die Menschen in die Präkarität drängt und Wohnungslose lieber aus Innenstädten räumt, als ihnen aus der Misere zu helfen.

00:00:18: Von Torben Peters.

00:00:22: Die neue Hochrechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe markiert einen politischen Offenbarungseid.

00:00:28: Mehr als eine Million Menschen waren im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr, im Jahr.

00:00:55: Der Anstieg der Wohnungslosigkeit um elf Prozent innerhalb eines Jahres reiht sich ein in eine jahrelange dramatische Entwicklung.

00:01:03: In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Wohnungslosen nahezu kontinuierlich gestiegen.

00:01:08: Allein in den Jahren two-tausend-einundzwanzig bis zwei-tausend-dreiundzwanzig hat sich die Zahl wohnungsloser Menschen mehr als verdoppelt.

00:01:16: Stetig steigende Mieten, der Rückgang günstiger Wohnungen, Privatisierungen kommunaler Bestände, Zunehmende Niedriglohnbeschäftigung und wachsende rechtliche Unsicherheit für viele EU-Arbeitsmigrantinnen und Migranten verstärkten den Trend.

00:01:30: Wohnungslosigkeit ist im Kapitalismus kein Ausnahmezustand, sondern Bestandteil eines Systems, das das elementare Bedürfnis nach einem Zuhause dem Rendite-Druck unterordnet.

00:01:40: Für die einen ist eine Wohnung Lebensmittelpunkt, für die anderen ein Anlageprodukt.

00:01:46: Aufenthaltsstatus wohnungslos.

00:01:50: Deutschland leidet seit Jahren unter einem strukturellen Mangel an bezahlbaren Wohnungen.

00:01:54: Diese Knappheit ist politisch organisiert.

00:01:57: Der soziale Wohnungsbestand ist seit den nineteenhundertneunziger Jahren dramatisch geschrumpft.

00:02:02: Ninzehundertneunzig gab es rund zwei Komma neun Millionen Sozialwohnungen, bis zwei Tausendzwanzig sank der Bestand auf Eins Komma Eins Millionen.

00:02:11: Anfang zwei Tausendfünfundzwanzig lag er nur noch bei etwa Eins Komma Null Fünf Millionen.

00:02:16: Ein historisches Tief.

00:02:18: Grund dafür ist nicht nur der mangelnde Neubau, sondern auch das systematische Auslaufen der Mietpreisbindungen sowie politische Prioritäten der nineteenhundertneunziger und zweitausendsiger Jahre, die öffentliche Wohnungsbestände privatisierten, statt sie auszubauen.

00:02:34: Die Folgen sind explodierende Mieten, zunehmende Verdrängung und ein Alltag, der für immer mehr Menschen vom Kampf gegen die Präkarität geprägt ist.

00:02:43: Die Wohnungsfrage ist eine Klassenfrage.

00:02:45: Wer wenig besitzt, keine Rücklagen hat und keinen Einfluss auf Bodenpreise ausüben kann, ist den Marktmechanismen ausgeliefert.

00:02:53: Während Eigentümer von steigenden Mieten und Bodenwerten profitieren, werden Mieterinnen und Mieter zur Rendite quellen.

00:03:00: Soziale Sicherheit wird zur Verhandlungssache, abhängig von Einkommen, Aufenthaltsstatus, Gesundheit und Zufall.

00:03:07: Ein genauer Blick auf die aktuellen Daten zeigt zudem, wie stark Wohnungslosigkeit entlang sozialer und rechtlicher Linien verläuft.

00:03:14: Rund achtzig Prozent der wohnungslosen Menschen in Deutschland hatten zwei tausend vierundzwanzig keine deutsche Staatsbürgerschaft.

00:03:21: Diese enorme Quote ist kein Hinweis auf kulturelle Unterschiede, sondern Ausdruck struktureller Benachteiligung.

00:03:28: Viele Menschen kamen aus Osteuropa, unter anderem aus Polen, Bulgarien und Rumänien, für einfache schlecht bezahlte Jobs nach Deutschland.

00:03:37: Wer diese Arbeit verliert, hat häufig keinen Anspruch auf Hilfesysteme.

00:03:41: EU-Bürgerinnen und Bürger mit Meldedresse im Herkunftsland, die ihre wirtschaftliche Grundlage verlieren, gelten formal schnell als freiwillig obdachlos, so dass Notunterkünfte sich für sie nicht zuständig fühlen.

00:03:54: Nicht EU-Bürgerinnen und Bürger wiederum tauchen in der Statistik oft gar nicht erst als wohnungslos auf.

00:04:00: Wer keinen regulären Aufenthaltsstatus hat, erhält im besten Fall ein Angebot zur Ausreise, aber keine Unterkunft.

00:04:07: Diese Trennlinie entscheidet real darüber, wer einen Schlafplatz bekommt und wer auf der Straße landet.

00:04:13: Doch Wohnungslosigkeit entsteht nicht allein aus ökonomischer Präkarität.

00:04:17: Sie hat vielfältige soziale Ursachen, die in einer Gesellschaft, die den Wert eines Menschen an seine Leistungsfähigkeit knüpft, oft übersehen werden.

00:04:26: Psychische Erkrankungen, Suchtprobleme oder akute Lebenskrisen sind selten isolierte Schicksale, sondern häufig Ausdruck enormen gesellschaftlichen Drucks.

00:04:36: Abstiegsängste, Überforderung und fehlende Unterstützung führen viele Menschen in Situationen, in denen sie den Halt verlieren.

00:04:45: Sucht ist eher Folge als Ursache.

00:04:48: Nicht alle wohnungslosen sind suchtkrank oder psychisch schwer belastet, doch immer mehr entwickeln diese Probleme erst durch das Leben auf der Straße.

00:04:56: Die Stigmatisierung dieser Menschen verschärft das Problem zusätzlich.

00:05:00: Ihnen wird die alleinige Verantwortung für eine Situation zugeschrieben, die nicht zuletzt strukturell produziert wurde.

00:05:07: Gleichzeitig verlangt das Hilfesystem oft bürokratische Stabilität wie Terminzuverlässigkeit, Bindungsfähigkeit oder Papierarbeit, die Menschen in akuten Krisen schlicht nicht leisten können.

00:05:19: Die Verehlendung, die mit Wohnungslosigkeit einhergeht, ist inzwischen selbst ein struktureller Faktor der Krise.

00:05:25: Psychische Erkrankungen und Substanzkonsum treten dabei immer häufiger kombiniert auf.

00:05:31: Wer Monate oder Jahre lang auf der Straße lebt, entwickelt häufig schwere depressive Episoden, Psychosen oder Trauma-Folgen und viele versuchen, Schlafmangel, Kälte, Gewalt und sozialen Stress mit immer stärkeren Substanzen zu betäuben.

00:05:46: In vielen Städten verbreiten sich billig verfügbare, hochwirksame synthetische Drogen, die schnell abhängig machen und die körperliche und psychische Gesundheit weiter zerstören.

00:05:56: Der öffentliche Raum spiegelt diese Dynamik wieder.

00:05:59: Für immer mehr Menschen ist der Substanzkonsum nicht Ursache, sondern Folge der Wohnungslosigkeit und zugleich ein weiterer Treiber der Verehlendung, weil er Hilfszugänge erschwert, Stigmatisierung verstärkt und das soziale Umfeld noch instabiler macht.

00:06:14: Statt diese Prozesse sozialpolitisch abzufedern, reagieren viele Städte mit Kriminalisierung und Verdrängung.

00:06:21: Straßenszenen werden geräumt, Menschen aus Innenstadtbereichen verdrängt, konsumierende Wohnungslose verfolgt oder mit Ordnungspolitik traktiert.

00:06:29: Doch diese Maßnahmen verschärfen die Lage.

00:06:32: Wer versteckt, konsumieren muss, ist für Hilfsangebote schwieriger erreichbar und für Gewalt, Überdosierungen oder Ausbeutung deutlich anfälliger.

00:06:41: Besonders dramatisch ist die Situation für wohnungslose Menschen, die in der Prostitution überleben.

00:06:47: Wenn Drogenkonsum und Sexarbeit in immer abgelegenere oder unsichere Räume gedrängt werden, steigen die Risiken massiv.

00:06:54: Gewalt, sexuelle Übergriffe, Erpressung und Abhängigkeiten nehmen zu, während der Zugang zu medizinischer Hilfe, Beratung und Schutz sinkt.

00:07:04: Verdrängung produziert keine Ordnung, sondern unsichtbares Leid.

00:07:08: Das Hilfesystem selbst versagt strukturell.

00:07:11: Viele Angebote sind hochschwellig und setzen eine Stabilität voraus, die Menschen ohne Wohnung nicht haben.

00:07:17: Psychiatrische Kliniken und Krankenhäuser entlassen Betroffene aufgrund des Drucks der Krankenkassen nach kurzer Behandlung wieder auf die Straße.

00:07:25: So entsteht ein Drehtüreffekt.

00:07:27: Kurze Behandlung, Rückkehr auf die Straße, nächste Krise, erneute Aufnahme.

00:07:33: Armut und Elend werden verwaltet, nicht überwunden.

00:07:37: Selbst wer in eine Notunterkunft kommt, findet dort häufig menschenunwürdige Bedingungen vor.

00:07:43: Überfüllung, Gewalt, Suchtprobleme, fehlender Schutz.

00:07:48: Die Lebenserwartung wohnungsloser Menschen liegt teils dreißig Jahre unter dem Durchschnitt.

00:07:52: Diese Entwicklung wird in der Regel politisch in Kauf genommen.

00:07:56: Gleichzeitig verschärft die Bundesregierung die Lage aktiv.

00:07:59: Die geplante Reform im Bürgergeld setzt genau dort an, wo Menschen am verletzlichsten sind.

00:08:04: Sie sieht vor, Leistungen schneller und drastischer zu kürzen und im Extremfall sogar die Kosten der Unterkunft zu streichen.

00:08:12: Damit wird das Dach über dem Kopf zu einer Art Disziplinierungsinstrument.

00:08:16: Wer in mitten psychischer Krisen, Suchterkrankungen, instabile Arbeitsverhältnisse oder schierer Erschöpfung einen Termin versäumt, soll seine Wohnung verlieren, ungeachtet der Umstände.

00:08:28: Diese Form der Sanktionspolitik setzt auf Abschreckung statt auf soziale Sicherheit und blendet systematisch aus, warum Menschen in Krisen überhaupt Termine versäumen, weil sie im Alltag ums Überleben kämpfen, und das Hilfesystem sie mit Anforderungen konfrontiert, die in ihrer Situation kaum erfüllbar sind.

00:08:46: Eine solche Politik individualisiert Armut und macht Menschen erpressbar.

00:08:52: Sie schützt nicht vor dem Absturz, sie erzeugt ihn, indem sie die existenzielle Unsicherheit steigert, die Wohnungslosigkeit überhaupt erst hervorbringt.

00:09:01: Wohnung als Menschenrecht.

00:09:04: Dass es anders geht, belegen internationale Beispiele eindrücklich.

00:09:08: Finlands Housing First Ansatz hat Wohnungslosigkeit fast vollständig zurückgedrängt, weil er das Verhältnis von Wohnung und Hilfe umkehrt.

00:09:17: Erst kommt die Wohnung dann alles weitere, und zwar freiwillig.

00:09:21: Wer eine stabile Wohnsituation hat, kann überhaupt erst Therapien beginnen, Arbeit aufnehmen oder sich von Sucht und Verletzung erholen.

00:09:29: Wien zeigt seit Jahrzehnten, dass ein gemeinnütziger, nicht rendite orientierter Wohnungssektor mieten dauerhaft stabil halten kann und gleichzeitig gesellschaftlich integriert.

00:09:39: Und in Berlin hat die Kampagne Deutsche Wohnen und Co.

00:09:42: Enteignen deutlich gemacht, was passiert, wenn Mieterinnen und Mieter beginnen, die Eigentumsfrage selbst zu stellen.

00:09:49: Die Kräfteverhältnisse verschieben sich und plötzlich wird sichtbar, dass demokratische Kontrolle über Wohnraum kein utopisches Konzept, sondern eine realistische Option ist.

00:09:59: Diese Beispiele widerlegen den Mythos, Wohnungslosigkeit sei ein Naturphänomen.

00:10:04: Sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen und kann genauso gut durch politische Entscheidungen beendet werden.

00:10:11: Die Politik in Deutschland geht stattdessen den umgekehrten Weg.

00:10:15: Die Notversorgung ist vielerorts ein System der Verwahrung, nicht der Hilfe.

00:10:19: Und Präventionsstrukturen sind chronisch unterfinanziert.

00:10:23: Hilfeinrichtungen arbeiten seit Jahren an der Belastungsgrenze, während die Politik Reformen vorantreibt, die Menschen noch schneller in Wohnungslosigkeit treiben.

00:10:32: Eine Lösung der Wohnungsfrage ist möglich, aber nur, wenn der Markt als Leitmechanismus ausgeschaltet wird.

00:10:38: Dazu gehören ein massiver Ausbau des öffentlichen und gemeinnützigen Wohnungsbaus, der Ankauf privater Bestände durch Kommunen, strikte Mietregulierungen, ein Ende von Energiesperren und ein Sicherungssystem, das Menschen vor dem Absturz schützt.

00:10:53: Vor allem aber braucht es die politische Entscheidung, Wohnraum als öffentliches Gut und Menschenrecht zu behandeln.

00:10:59: Wohnungslosigkeit ist kein Naturereignis.

00:11:02: Sie ist das Ergebnis politischer Prioritäten, wirtschaftlicher Interessen und einer Eigentumsordnung, die Sicherheit für wenige und Unsicherheit für viele schafft.

00:11:11: Eine sozial gerechte Gesellschaft wäre eine, in der niemand seine Wohnung verlieren kann und in der das Recht auf Wohnen nicht verhandelt, sondern garantiert wird.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.