Einen freien Stahlmarkt gab es nie – von Karl Müller-Bahlke
Shownotes
Auf dem Stahlgipfel versprach die Regierung Maßnahmen, um die Schlüsselindustrie vor chinesischem Stahl zu schützen. Doch Klagen über »unfaire« Praktiken Chinas sind scheinheilig, denn auch im Westen wird die Stahlindustrie seit jeher staatlich gestützt.
Artikel vom 13. November 2025: https://jacobin.de/artikel/stahlgipfel-merz-klingbeil-industriekrise-china-deindustrialisierung-arbeitsplatzsicherung
Seit 2011 veröffentlicht JACOBIN täglich Kommentare und Analysen zu Politik und Gesellschaft, seit 2020 auch in deutscher Sprache. Die besten Beiträge gibt es als Audioformat zum Nachhören. Nur dank der Unterstützung von Magazin-Abonnentinnen und Abonnenten können wir unsere Arbeit machen, mehr Menschen erreichen und kostenlose Audio-Inhalte wie diesen produzieren. Und wenn Du schon ein Abo hast und mehr tun möchtest, kannst Du gerne auch etwas regelmäßig an uns spenden via www.jacobin.de/podcast.
Zu unseren anderen Kanälen: Instagram: www.instagram.com/jacobinmagde X: www.twitter.com/jacobinmagde YouTube: www.youtube.com/c/JacobinMagazin Webseite: www.jacobin.de
Transkript anzeigen
00:00:00: Einen freien Stahlmarkt gab es nie.
00:00:03: Auf dem Stahlgipfel versprach die Regierung Maßnahmen, um die Schlüsselindustrie vor chinesischem Stahl zu schützen.
00:00:10: Doch Klagen über unfaire Praktiken Chinas sind scheinheilig.
00:00:14: Denn auch im Westen
00:00:15: wird die Stahlindustrie seit jeher staatlich gestützt.
00:00:22: Wenn Friedrich
00:00:23: Merz und Lars Klingbeil ein grundsätzliches Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft abgeben, kann man davon ausgehen, dass die Lage ernst ist.
00:00:30: Nachdem am vergangenen Donnerstag angekündigten Maßnahmen zum Schutz der deutschen Stahlindustrie, hielten sie das aber für angebracht.
00:00:37: Denn in Bezug
00:00:38: auf diese Industrie soll, wenn man den Verlautbarungen des Kanzlers glaubt,
00:00:42: mit freien Märkten
00:00:43: erst mal Schluss sein.
00:00:45: Das Ziel ist, die Industrie, deren strategische Wichtigkeit allseits betont wird, in Deutschland zu erhalten.
00:00:52: Zum sogenannten
00:00:52: Stahlgipfel hatte
00:00:53: März die Chefetagen
00:00:54: der wichtigsten in Deutschland produzierenden Stahlunternehmen und Gewerkschaftsvertreter eingeladen.
00:01:00: Dazu saßen die Ministerpräsidenten der wichtigsten Stahl produzierenden Bundesländer mit am Tisch.
00:01:06: Von Seiten der Bundesregierung nahmen neben dem Vizekanzler auch Wirtschaftsministerin Reiche und Arbeitsministerin Bass Teil.
00:01:13: Die hochkarätige Besetzung des Treffens unterstreicht die Dringlichkeit der Lage der Industrie.
00:01:18: Allgegenwärtig war rund um den Stahlgipfel die Klage über subventionierten chinesischen Billigstahl zu hören, der aufgrund der hohen Schutzzölle in den USA den europäischen Markt flute.
00:01:29: Dazu kommen
00:01:30: hohe Energiepreise.
00:01:31: Daher will Deutschland
00:01:32: nun über Preiskontrollen beim Industriestrom in den Markt eingreifen und für öffentliche Infrastruktur nur noch europäischen Stahl kaufen.
00:01:40: Dazu will man sich auf europäischer Ebene selbst für Schutzzölle einsetzen.
00:01:45: Karsten Brzezki von der ING Diba erhofft sich in diesem Zusammenhang, dass
00:01:49: der Begriff strategische
00:01:50: Autonomie endlich mit Leben gefüllt wird.
00:01:53: Ob die angekündigten
00:01:54: Maßnahmen das vor allem in Bezug auf China tatsächlich erreichen können,
00:01:58: ist allerdings
00:01:59: mehr als zweifelhaft.
00:02:01: Auch die vom Stahlabhängigen Arbeitsplätze wurden zwar von Schwarz-Rot als Beleg für das allgemeine Interesse am Erhalt der Industrie angeführt,
00:02:08: Mit einer
00:02:09: langfristigen Industriepolitik im Sinne der Beschäftigten
00:02:12: haben die angekündigten
00:02:13: Maßnahmen aber ebenfalls wenig zu tun.
00:02:16: Der Stahlgipfel ist vielmehr eine Momentaufnahme des dauerhaften Aushandlungsprozesses zwischen Staat und Stahlindustrie über ihr gegenseitiges Verhältnis.
00:02:24: Staatliche Intervention ist die Norm.
00:02:30: Was bei März und Klingbeil
00:02:31: nach Zeitenwände und radikaler Staatsintervention klingt,
00:02:34: ist in Wahrheit
00:02:35: eher eine Feinjustierung von Maßnahmen, die in der Branche global üblich sind.
00:02:40: Einen freien Markt, im engeren Sinne gab es in der Stahlindustrie noch nie.
00:02:45: Das gilt nicht nur für China.
00:02:47: Auch Indien, nach China der zweitgrößte Stahlproduzent der Welt,
00:02:51: entwickelte seine
00:02:51: Industrie nach der Unabhängigkeit im Rahmen von staatlich gesteuerten fünf Jahresplänen.
00:02:57: In den USA
00:02:57: übernahm Präsident Truman nach nineteenhundertfünfundvierzig Preis- und Lohnkontrollen aus Kriegszeiten, um die Versorgung mit Stahl sicherzustellen.
00:03:06: Diese Politik mündete in den Versuch der staatlichen Übernahme von US-Stil, um einen Streik in der für den Korea-Krieg zentralen Industrie zu verhindern.
00:03:16: Die britische Regierung wiederum hatte ihre Stahlproduktion bereits, da die privaten Unternehmen vor teuren Modernisierungsmaßnahmen zurückschrecken.
00:03:27: Das vorerst letzte
00:03:28: Kapitel in der seither folgenden Auseinandersetzung um Reprivatisierung
00:03:32: und erneute
00:03:33: Verstaatlichung wurde erst in diesem Sommer geschrieben, als die britische Regierung notbehelfsmäßig die Kontrolle über das Stahlwerk Scanthorpe übernahm, um seine Schließung zu verhindern.
00:03:43: Die Übernahme folgte fast exakt ein Jahr, nachdem der italienische Staat das Ilva-Stahlwerk in Taranto mit Liquiditätsspritzen vor der Insolvenz gerettet hatte.
00:03:53: Staatliche Intervention zur Sicherstellung von strategisch wichtiger Produktion
00:03:58: und zur
00:03:58: Förderung oder Erzwingung von Modernisierungsmaßnahmen hat also auch im kapitalistischen Westen eine lange Geschichte.
00:04:05: Sie passiert auch in Deutschland längst.
00:04:08: Die nun angekündigte
00:04:09: Einführung des Industriestrompreises, etwa, gestaltet sich auch deshalb so kompliziert, weil über die Strompreiskompensation bereits ein EU-Mechanismus zur Unterstützung für die deutsche Stahlindustrie besteht
00:04:20: und die Europäische
00:04:21: Union hier Doppelsubventionen verbietet.
00:04:23: Noch im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr im Jahr.
00:04:37: Das Thema grüner Stahl bestimmte noch den Stahlgipfel-Zweitausendvierundzwanzig.
00:04:41: Dieses Jahr
00:04:42: war allerdings auffällig wenig davon zu hören.
00:04:45: Stattdessen verlegte man sich im Zeichen der Trump-Zölle auf den Klassiker, die strategische Bedeutung der Stahlindustrie.
00:04:52: Gemeinsam ist beiden Themen, dass sie den Befürwortern des freien Marktes einen Legitimationsrahmen für massive staatliche Unterstützung einer privaten Industrie liefern, auch bei knapper Haushaltslage.
00:05:04: Eine strategische Industrie im doppelten Sinn.
00:05:08: Sachlich ist die Einordnung der Stahlbranche als Schlüsselindustrie sicher richtig.
00:05:13: Moderne kapitalistische
00:05:14: Gesellschaften sind keinesfalls post-industriell.
00:05:17: Die Maschinen zur Herstellung praktisch jedes Produktes in unserem Alltag bestehen zu großen Teilen aus Stahl.
00:05:23: Dazu enthalten selbst seventy-fünf Prozent aller Konsumgüter das Material in der einen oder anderen Form.
00:05:30: Ohne verlässlichen Zugang zu diesem Werkstoff
00:05:33: bekommt eine Industriegesellschaft
00:05:35: gewaltige Probleme
00:05:36: wie eine Studie
00:05:37: der Hans-Böckler-Stiftung jüngst auch für Deutschland berechnete.
00:05:41: und auch der Verweis auf die Wichtigkeit für die Rüstungsindustrie darf dieser Tage natürlich in keiner Meldung fehlen.
00:05:47: Dass die Wettbewerbsbedingungen der Stahlindustrie maßgeblich am Kabinettstisch entschieden werden,
00:05:52: ist schlicht die andere
00:05:53: Seite ihres Charakters als strategischer, also fundamental politischer Industrie, denn so zentral die Stahlindustrie auch für die Volkswirtschaft ist, so instabil sind ihre betriebswirtschaftlichen Grundlagen.
00:06:05: Die Kapitalkosten in der Industrie sind enorm, die Risiken hoch.
00:06:10: Die Umsätze der Industrie schwanken gewaltig.
00:06:12: Und das nicht nur, weil wichtige Abnehmerindustrie wie Bau- und Autobranche selbst sehr konjunkturabhängig sind.
00:06:19: Moderne integrierte
00:06:20: Hüttenwerke optimieren die Effizienz ihrer internen Produktionsprozesse und Energiekreisläufe maximal.
00:06:27: Energieüberschüsse aus einem Produktionsschritt werden im nächsten genutzt.
00:06:31: Was Werke etwa in Bremen oder Duisburg einerseits so effizient macht, macht sie andererseits enorm anfällig für Schwankungen in Rohstoff, Energie oder Absatzmärkten.
00:06:40: Die Tatsache, dass ein Hochofen dauerhaft in Betrieb sein muss,
00:06:44: ist dabei nur
00:06:45: die Spitze des Eisbergs.
00:06:47: Jede suboptimale
00:06:48: Auslastung eines Produktionsschrittes kann die feine Abstimmung der Prozesse durcheinanderbringen.
00:06:53: Dass das
00:06:54: technische Optimum eines Hüttenwerkes keineswegs in jeder Marktlage seinem betriebswirtschaftlichen Optimum entspricht, haben Arbeitshistoriker wie Thomas Welzkopf gezeigt, wenn die Preise fallen kann nicht einfach weniger produziert werden ohne die Produktionskosten überproportional zu erhöhen.
00:07:10: Über Kapazitätskrisen
00:07:12: sind der Lebensfluch der modernen Stahlindustrie billiger.
00:07:16: Chinesischer Stahl auf europäischen Märkten ist nur das jüngste Kapitel in dieser Geschichte.
00:07:21: Die Beschwerden über chinesische Subventionen, wie etwa vom CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, sind daher scheinheilig.
00:07:29: Ohne irgendeine
00:07:30: Form staatlicher Unterstützung und Absicherung wäre die wichtigste betriebliche Einheit der modernen Stahlindustrie das integrierte Hüttenwerk
00:07:38: ökonomisch nirgendwo
00:07:39: überlebensfähig.
00:07:41: Das chinesische Modell der staatlich gesteuerten Industriepolitik passt schlicht sehr gut zu den Branchenbedingungen einer strategischen Industrie.
00:07:49: Deutsche Experten müssen sich hingegen vorerst damit zufrieden geben, dass die Versprechen des Kanzlers für Zuversicht
00:07:55: und damit
00:07:56: für eine Senkung der Kapitalkosten sorgen.
00:08:00: Industriepolitik
00:08:01: auf Wish bestellt.
00:08:04: Mit einem Bekenntnis
00:08:05: zu umfassender Industriepolitik
00:08:07: sollte man die
00:08:08: Äußerungen im Nachgang des Stahlgipfels also nicht verwechseln.
00:08:11: Auch die markigen
00:08:12: mit geopolitischer Rhetorik garnierten Äußerungen zur strategischen Autonomie Deutschlands versteht man besser als Teil der ständigen Aushandlung zwischen Stahlindustrie und Staat um das genaue Verhältnis ihrer gegenseitigen Integration statt als tatsächlich neues politisches Programm.
00:08:28: Eine autake Versorgung der deutschen Wirtschaft mit einheimischem Stahl dürfte wirtschaftlich ohnehin kaum realistisch sein.
00:08:35: Die Branche ist schlicht nicht groß genug.
00:08:38: Allein das größte staatliche chinesische Stahlunternehmen, China Baowu, produziert mehr Rohstahl als die ganze Europäische Union zusammen.
00:08:47: Um hier auch nur ansatzweise konkurrenzfähig zu werden,
00:08:50: wäre in
00:08:50: Deutschland staatliche Intervention in völlig anderen Dimensionen nötig.
00:08:55: Die Betonung der Schlüsselrolle
00:08:56: der Stahlindustrie passiert zwar unter dem Schlagwort der strategischen Autonomie, macht aber in der derzeitigen Lage im Gegenteil eher die Wichtigkeit der internationalen Kooperation deutlich.
00:09:07: Aufs Erste wird man sich also wohl oder übel weiterhin mit dem Rest der Welt und vor allem China verständigen müssen.
00:09:14: Gegen deren Billigstahl haben andere Teile der deutschen Industrie auch wenig einzuwenden.
00:09:19: Der ist nämlich, anders als die Formulierung impliziert, keinesfalls qualitativ minderwertiger, sondern entspricht vergleichbaren Industrienormen wie europäischer Stahl.
00:09:29: Ein Sprecher des Verbandes der Automobilindustrie zollte daher gegenüber der Tagesschau im Vorfeld des Stahlgipfels,
00:09:36: zwar dem geopolitischen
00:09:37: Diskurs rhetorischen Tribut,
00:09:39: warnte
00:09:39: aber eindringlich vor höheren Produktionskosten bei der Benachteiligung von Stahlimporten.
00:09:45: Wirklich katastrophal wären die Auswirkungen eines Endes der deutschen Stahlindustrie für die knapp achtzigtausend unmittelbar in ihr Beschäftigten.
00:09:52: deren Vertreter saßen in Berlin zwar mit am Tisch, wurden medial aber vor allem zur Bereitstellung der emotionalen Komponente der Story degradiert.
00:10:01: Dabei sind die Belegschaften der Stahlindustrie wahrscheinlich ihr wichtigstes Erfolgskriterium.
00:10:06: Die Arbeit im Hüttenwerk und in der angrenzenden Produktion erfordert hochqualifizierte und eng kooperierende Belegschaften, die entgegen manchem Klischee vom Industriearbeiter mit viel Eigeninitiative im Produktionsprozess mitwirken.
00:10:21: Hier vorhandenes institutionelles Erfahrungswissen lässt sich nicht innerhalb weniger Jahre aufbauen, wie auch die Stahlgiganten Indien und China in der Frühphase ihrer Industrialisierung schmerzhaft lernen mussten.
00:10:33: Heute ist das Verhältnis anders.
00:10:35: Die große Menge an
00:10:36: hochqualifizierten Industriefachkräften in China wird nicht über Nacht verschwinden.
00:10:40: Schutzzölle und Industriestrompreis hin oder her.
00:10:43: Und selbst wenn morgen
00:10:44: im Ruhrgebiet ungeahnte neue Kohlevorkommen entdeckt würden, werden massenweise Industriefachkräfte in Deutschland wohl kaum aus dem Boden wachsen.
00:10:53: Dafür bräuchte es umfangreiche und langfristige Maßnahmen, Die Zwangsläufig die Arbeitnehmerseite in den Mittelpunkt der Politik stellen müssten.
00:11:01: Und das ist März und Klingbeil bei aller neuen radikalen Rhetorik wohl eher nicht zuzutrauen.
Neuer Kommentar