Merz’ rassistische Ablenkung hat Tradition – von Kerem Schamberger

Shownotes

Die Stadtbild-Debatte ist nicht nur ein Schauspiel des Alltagsrassismus in Deutschland, sondern auch ein Ablenkungsmanöver: Unzufriedenheit soll sich an Ausländern entladen statt an der Politik, die dabei versagt, lebenswerte Städte für alle zu schaffen.

Artikel vom 05. November 2025: https://jacobin.de/artikel/stadtbild-migration-hetze-cdu-merz-armut-spaltung-rassismus

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00:00:00: Merz.

00:00:00: rassistische Ablenkung hat Tradition.

00:00:05: Die Stadtbilddebatte ist nicht nur ein Schauspiel des Alltagsrassismus in Deutschland, sondern auch ein Ablenkungsmanöver.

00:00:11: Unzufriedenheit soll sich an Ausländern entladen, statt an der Politik, die dabei versagt, lebenswerte Städte für alle zu schaffen.

00:00:21: Von Kerem Scharmberger.

00:00:24: Die Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz.

00:00:26: Es gäbe im Stadtbild noch dieses Problem, dass durch verstärkte Abschiebungen gelöst werden könne, hat es nun geschafft, wochenlang die Öffentlichkeit zu beschäftigen.

00:00:35: Samt gegen Protesten, Unterstützungsbekundungen und leidenschaftlichen Mediendebatten.

00:00:41: Dass März selbst laut Umfragen momentan von nur knapp einem Viertel der Bevölkerung unterstützt wird, oder dass die Wirtschaft nach wie vor stagniert, tritt in den Hintergrund zugunsten einer erneuten Migrationsdebatte.

00:00:53: Merz-Kommentare kamen nicht aus dem Nichts, sondern verdeutlichen das Weltbild des Deutschen Bundeskanzlers, von den kleinen Pashas über den importierten Antisemitismus von Menschen, die in den letzten zehn Jahren nach Deutschland gekommen seien, bis zur ungeregelten Einwanderung in unsere Sozialsysteme.

00:01:12: Diese Kontinuität macht deutlich, dass der Ausländer in seinem Denken ein beständiges Problem darstellt, das weg muss.

00:01:19: Doch es gibt auch eine andere Kontinuität in Merz-Handeln.

00:01:23: Das geschickte Ausnutzen von rassistisch aufgeladener Rhetorik, um von sozialer Spaltung abzulenken und Ungleichheit zu normalisieren.

00:01:31: Hieß es in den nineteenhundertneunziger Jahren noch, das Boot ist voll, wird heute anhand eines angeblich verfallenden Stadtbilds ein Feind an die Wand gemalt, der für die gesellschaftliche Misere verantwortlich sein soll.

00:01:45: Worum es wirklich geht.

00:01:48: Die Stadtbilddebatte macht eine ganze Bandbreite von rassistischen und sexistischen Stereotypen deutlich.

00:01:55: Menschen mit Migrationsgeschichte würden den Sozialstaat ausnutzen, um sich ein leichtes Leben zu machen und wann immer sie wollen in der Stadt abzuhängen, denn sie müssten nicht arbeiten.

00:02:06: Dahinter steckt ein Sozialschauvinismus, der arme Menschen abwertet, Hass auf sie schürt und von der eigentlichen Frage ablenkt.

00:02:14: Von Armut betroffenen Menschen haben sich ihre Lebenslage nicht selber ausgesucht, sondern sind aufgrund von Klassenverhältnissen in sie hineingeboren.

00:02:23: Versuche, ihnen zu entkommen.

00:02:25: werden durch die Bundesregierung erschwert.

00:02:27: Mehr noch, sie betreibt tagtäglich eine Politik, die die Menschen in Armut, Rechts- und Statuslosigkeit drängt, nur um es ihnen dann persönlich zum Vorwurf zu machen.

00:02:38: Einen Tag später, auf Nachfrage, was März denn konkret meine, antwortete er, fragen sie mal ihre Töchter.

00:02:47: Damit markiert er die von ihm gemeinten Menschen als potentiell gewalttätige und sexuell übergriffige Männer.

00:02:55: Das Bild des Ausländern, der es auf deutsche Frauen abgesehen habe, ist ein immer wiederkehrender Topos im systematischen Alltagsrassismus hierzulande.

00:03:04: Insbesondere, wenn es um schwarze Menschen geht.

00:03:08: März inszeniert sich dabei als schützender Patriarch, so die politische Soziologin Rosa Burs.

00:03:14: Frauen, die nur als Töchtersubjekte sind.

00:03:16: Männer, die nur dann als gefährlich markiert werden, wenn sie migrantisch sind.

00:03:21: Migrantische Irregularität eingeschrieben in die Illusion einer weißen Nation.

00:03:26: Eine Petition von Aktionskünstlerin Cezy Leonhard macht deutlich, um was es eigentlich geht.

00:03:32: Wir haben ein strukturelles Problem mit Gewalt gegen Frauen, fast immer im eigenen Zuhause.

00:03:38: Die Täter sind nicht irgendwelche Menschen im Stadtbild, sondern Ehemänner, Väter oder Ex-Partner.

00:03:45: Merz nachträgliche Spezifizierung.

00:03:47: Es gehe ihm um Einwanderer ohne Aufenthaltsrecht und Arbeit, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten würden, macht es nicht besser.

00:03:55: Erstens kann man den Aufenthaltsstatus eines Menschen nicht an seinem Gesicht ablesen.

00:04:00: Genauso wenig den Arbeitsstatus, viele Menschen mit Migrationshintergrund sind gezwungen, in prekärer Situation ermüdende Schicht oder Nachtdienste zu leisten.

00:04:09: Und welche Regeln Merz meint, bleibt ebenso nebulös.

00:04:13: Sind es Gesetze, Werte oder Normen?

00:04:15: Welche möglichen Regelbrüche insinuiert er?

00:04:19: Es wird deutlich, dass diese Unklarheit Teil einer Kommunikationsstrategie ist, die gleichzeitig jeden und fast niemanden meinen könnte.

00:04:27: Eine rassifizierende und ausschließende Einordnung ermöglicht Merzaussage hingegen schon.

00:04:33: Denn Betroffen von dieser Markierung sind potenziell alle, die von einer weißen Dominanzgesellschaft nicht als Deutsch gelesen werden und sich den Tag über in öffentlichen Räumen aufhalten.

00:04:43: Nicht umsonst äußerte sich der Überlebende des rechtsterroristischen Hanau-Anschlags Said-Etris Hashemi.

00:04:50: Ich bin das Stadtbild vor dem März warnt.

00:04:53: Die neuen Menschen, die in Hanau ermordet wurden, wurden Opfer genau dieser Denkweise.

00:04:58: Zu dem Stadtbild, das nicht sein darf, gehören auch Chisha-Bars, die sich der Attentäter als Ort seines Anschlags unter anderem ausgesucht hatte.

00:05:07: Zweitens wird deutlich, dass es sich empirisch nur um eine sehr geringe Menge an Menschen handelt, die sich ohne Aufenthaltsrecht im Land befinden.

00:05:16: Mit Standende Juni, twenty-fünfundzwanzig befanden sich etwa zweihundert sechsundzwanzigtausend Menschen ausreisepflichtig im Land.

00:05:24: Einhundertfünfundachtzigtausend von ihnen hatten jedoch eine Duldung, sodass nur etwa einundvierzigtausend Menschen konkret ausreisepflichtig sind.

00:05:33: Neben abgelehnten Asylbewerbern können dies auch Studierende oder Touristen sein, deren Visum abgelaufen ist.

00:05:40: Die Duldung ist zwar kein echter Aufenthaltstitel, aber dennoch eine Bescheinigung über den legalen Aufenthalt.

00:05:46: Sie kann erteilt werden aufgrund von völkerrechtlichen oder humanitären Gründen, bei Absolvierung einer qualifizierten Berufsausbildung.

00:05:54: Wenn man ein minderjähriges Kind hat, das eine Aufenthaltserlaubnis hat, wegen schwerwiegenden Erkrankungen oder aus anderen rechtlichen Gründen, die eine Ausreise verhindern, zum Beispiel fehlende Reisedokumente und ungeklärte Identität.

00:06:08: Die Chance, eine der von März im Nachgang angeblich gemeinten Personen, im Stadtbild einer der Achtzig Großstädte, Sechsundundzwanzig Mittelstädte oder der zweiteinhundertzwölf Kleinstädte zu sehen, ist damit im realen Leben verschwindend gering, erfolgreich abgelenkt.

00:06:28: Es wird deutlich, dass rassistische Platzzuweisungen funktionieren.

00:06:32: Migration wird zum Problem stilisiert, weil es politisch nützlich ist.

00:06:36: Die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Bundesregierung ist im Keller.

00:06:40: Laut einer Inserumfrage sehen sechsundsechzig Prozent der Befragten die Arbeit der Bundesregierung kritisch.

00:06:47: Nur noch twenty-fünf Prozent sind zufrieden.

00:06:50: Um davon abzulenken, setzen März und Konsorten in bezeichnender Regelmäßigkeit darauf, die nächste rassistische Migrationsdebatte zu schüren.

00:06:59: Denn sie funktioniert jenseits konkreter Empirie.

00:07:03: Mit unter achtundachtzigtausend Erstanträgen bis Ende September zweitausendfünfundzwanzig ist die Zahl der Asylsuchenden so niedrig wie in den letzten zehn Jahren nicht mehr.

00:07:14: Bis Ende Juni gab es in der gesamten EU nur dreihundertneinundneinzigtausend Asylanträge und damit dreihundzwanzig Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

00:07:23: Diese Problematisierung funktioniert sehr ähnlich zum Sozialschauvinismus, der sich in der Verschärfung des Bürgergelds ausdrückt, das nun Grundsicherung heißen soll.

00:07:33: Auch hier wurden Fantasiezahlen von hunderttausend Faulen Totalverweigerern in die Debatte gebracht.

00:07:38: In Realität handelt es sich nur um eine sehr kleine fünfstellige Zahl an Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen die Zusammenarbeit mit dem Amt nicht schaffen.

00:07:47: Die Reform wurde zudem von der Union dafür gepriesen, fünf Milliarden Euro einzusparen.

00:07:53: Tatsächlich werden für two-tausend sechsundzwanzig nur rund achtundachtzig Millionen Euro und für zwei-tausend siebenundzwanzig rund neunundsechzig Millionen Euro an Einsparungen erwartet.

00:08:04: Zwei-tausend achtundzwanzig könnte es sogar mehr Kosten geben.

00:08:08: Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die Stadtbilddebatte genau dann von März geschürt wurde als sich die Versprechungen der Union in Bezug auf die neue Grundsicherung als Luftnummer erwiesen.

00:08:18: Im Kern der Debatte geht es um Entrechtung und eine Hierarchisierung der Gesellschaft, um Lohnarbeit und die Legitimierung von Ungleichheit, um die Zuweisung des angestammten Platzes in einem rassistisch strukturierten kapitalistischen Arbeitsmarkt.

00:08:35: Wie die Sozialwissenschaftlerin BAFTAS Harbo schreibt, je prekärer die Arbeitskräfte sind, desto ausgelieferter sind sie.

00:08:44: Deshalb ist jede noch so rassistische Mobilisierung gegen Migrantinnen und Migranten kein Kampf gegen Migration an sich, sondern ein Angriff auf die Rechte dieser Menschen.

00:08:54: Den als Probleme des Stadtbilds markierten Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus sollen diese Rechte vorenthalten werden.

00:09:02: Sie werden markiert und ausgeschlossen.

00:09:05: Die ständige Problematisierung von Migration und Flucht ist in Deutschland letztendlich auch ein Vorwand, um nicht über die Themen sprechen zu müssen, die eigentlich anstehen.

00:09:14: die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten, Investitionen in die marode Infrastruktur des Landes oder auch die so dringend notwendige sozialökologische Transformation.

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