In NRW muss die SPD sich entscheiden

Shownotes

Nach den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wird die einstige Herzkammer der Sozialdemokratie zum Ort der Entscheidung: Will die SPD der CDU beim Sozialabbau helfen oder mit der Linken an einer Alternative zum AfD-Narrativ arbeiten?

Artikel vom 18. September 2025: https://jacobin.de/artikel/nrw-kommunalwahlen-afd-spd-soeren-link

Seit 2011 veröffentlicht JACOBIN täglich Kommentare und Analysen zu Politik und Gesellschaft, seit 2020 auch in deutscher Sprache. Die besten Beiträge gibt es als Audioformat zum Nachhören. Nur dank der Unterstützung von Magazin-Abonnentinnen und Abonnenten können wir unsere Arbeit machen, mehr Menschen erreichen und kostenlose Audio-Inhalte wie diesen produzieren. Und wenn Du schon ein Abo hast und mehr tun möchtest, kannst Du gerne auch etwas regelmäßig an uns spenden via www.jacobin.de/podcast.

Zu unseren anderen Kanälen: Instagram: www.instagram.com/jacobinmagde X: www.twitter.com/jacobinmagde YouTube: www.youtube.com/c/JacobinMagazin Webseite: www.jacobin.de

Transkript anzeigen

00:00:00: In Nordrhein-Westfalen muss die SPD sich entscheiden.

00:00:04: Nach den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wird die einstige Herzkammer der Sozialdemokratie zum Ort der Entscheidung.

00:00:11: Will die SPD der CDU beim Sozialabbau helfen oder mit der Linken an eine Alternative zum AfD-Narrativ arbeiten?

00:00:19: Von Bernhard Sander.

00:00:22: Am vergangenen Wochenende konnten dreizehn Komma sieben Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen ihre Kommunalparlamente, Oberbürgermeister und Landräte bestimmen.

00:00:31: Schon im Vorfeld der Wahl war das Narrativ gesetzt.

00:00:34: Die AfD würde stark zulegen und der SPD den Rang als Arbeiterpartei ablaufen.

00:00:39: Am Ende verdreifachte sich die AfD landesweit zwar von fünf Komma eins Prozent im Jahr zwei Tausend zwanzig, auf nun vierzehn Komma fünf Prozent, blieb damit aber hinter ihren noch höheren Erwartungen zurück.

00:00:51: Schließlich hatte sie bei ihrem Mobilisierungserfolg zur vergangenen Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen sechzehn Komma acht Prozent geholt.

00:00:59: Dennoch Mit den fünfundundfünfzig Vertreterinnen und Vertretern, die zur kontinuierlichen Arbeit in allen Sachgebieten vor Kohle stehen, kann die AfD ihre Kaderbildung und Auswahl nun kräftig vorantreiben, von den öffentlichen Zuwendungen an die Fraktionen mal ganz abgesehen.

00:01:16: Die Erosion der SPD setzt sich vom zwei tausendzwanzig schlechtesten Wahlergebnis von vierundzwanzig Komma drei Prozent auf jetzt, zweiundzwanzig Komma eins Prozent fort.

00:01:26: Zur Erinnerung In den nineteenhundertsechziger und siebziger Jahren schaffte es die Sozialdemokratie, der Aufbaupartei CDU das Heft aus der Hand zu nehmen und mit der Modernisierung, insbesondere dem Hochschulbau, dem sozialem Wohnungsbau und der Gestaltung des Strukturwandels, weg von Kohle und Stahl, NRW zu ihrer Herzkammer zu machen.

00:01:47: Damals rangierte sie bei rund fünfzig Prozent.

00:01:50: Heute pumpt dieses Herz zwar noch, aber faktisch ist die SPD Hirntod.

00:01:55: Es fehle an Ideen, fällt der stellvertretenden Landesvorsitzenden am Wahlabend im TV nur noch ein.

00:02:02: Die SPD mag den Status als Arbeiterpartei verloren haben, aber deshalb hat die AfD ihn noch lange nicht gewonnen.

00:02:08: Denn es geht der AfD eben nicht um die materiellen Lebensbedingungen, sondern um die Ressentiments, mit denen sie diese miesen Verhältnisse deuten kann.

00:02:17: Die materiellen Verhältnisse entscheiden.

00:02:21: Auf den ersten Blick ging es bei den Wahlen wieder um das scheinbar alles beherrschende Thema der Migration, das vor allem von rechter Seite unmittelbar mit dem Thema der inneren Sicherheit verknüpft wird.

00:02:31: Die Demoskopie zeigt jedoch, dass die Unzufriedenheit auf vielen anderen Politikfeldern teils sehr viel größer ausfällt.

00:02:38: Diese Zufriedenheitswerte fallen in den verschiedenen Regionen und Siedlungsstrukturen, Groß- oder Kleinstädte, durchaus unterschiedlich aus.

00:02:46: Dennoch ist zentral, dass teure Mieten, fehlender Wohnraum und verfallende Verkehrsinfrastruktur für drei Viertel der befragten Grund zur Unzufriedenheit geben.

00:02:56: Diese Themen führen die Liste an und nicht der Sicherheits- und Migrationskomplex.

00:03:01: Genau diesen sicherheitspolitischen Diskurs will nun aber vor allem die CDU immer weiter in den Fokus ihrer Statements und damit der medialen Berichterstattung rücken.

00:03:11: So erweitert sie den Diskursraum für die Narrative der AfD, in dem sich ressentiments- und illiberale Argumente breitmachen.

00:03:19: Dabei verknüpft man die Unzufriedenheit über den Zustand der materiellen Lebensvoraussetzungen mit unterschwelligen Schuldzuweisungen.

00:03:26: Das ungleich größere Projekt für März, Linemann, Spahn und Co.

00:03:30: ist aber die neuerliche strukturelle Verkleinerung des Sozialstaats.

00:03:35: Ein Vorgeschmack gab der Ministerpräsident Hendrik Wüst schon am Wahlabend, als er auf Fehlanreize unserer Sozialsysteme Hinwies, die vor allem in den prekären Immobilien zur Organisation von Sozialbetrug und zu unhaltbaren Zuständen vor allem im Ruhrgebiet geführt hätten, die seit zwanzig Jahren bekannt seien aber weggenuschelt worden wären.

00:03:57: Sozialdemokratie auf Abwägen.

00:04:00: Aber verlor die SPD etwa nochmals zwei, zwei Prozent, weil sie nicht lautstark reaktionäre Vorurteile aussprach oder nicht rigoros Schwarzarbeit, Kindergeld und Bürgergeldbetrug unterband?

00:04:12: Duisburgs SPD-Oberbürgermeister Sören Link scheint dies zu glauben.

00:04:17: Sein eigenes gutes Abschneiden, forty-six Prozent im ersten Wahlgang, führt er auf seinen harten Kurs gegen Sozialbetrug zurück.

00:04:25: Ich bin Mitglied der Partei der Arbeit geworden, bin für soziale Gerechtigkeit.

00:04:29: erklärte Link.

00:04:31: Ich habe keine Lust verarscht und beschissen zu werden.

00:04:34: Das ist aber genau das, was da passiert.

00:04:36: Die klassischen SPD-Wähler seien die, die hart arbeiten und morgens früh aufstehen, so der Oberbürgermeister.

00:04:43: Sein Kurs sei deshalb absolut notwendig und richtig.

00:04:47: So hatte es im vergangenen Oktober eine Razzia gegen Sozialbetrug im berüchtigten Duisburger Hochhaus Weißer-Riese gegeben, dessen dritter Block kurz vor der Wahl geräumt und gesprengt wurde.

00:04:58: Die Methode, Großimmobilien aus früherem genossenschaftlichen und öffentlichen Bestand, die stufenweise parzelliert und privatisiert zu Profitobjekten wurden, buchstäblich wegzusprengen, um Armuts Migration aus südosteuropäischen EU-Staaten zu beseitigen, wurde in SPD geführten Städten wie Duisburg vorgemacht.

00:05:16: Damit entsprach man der Vorstellungswelt der AfD, mit der man nun dort in die Stichwahl zum Oberbürgermeisteramt gehen muss.

00:05:23: Ein attraktives Angebot ist das aber weder für verunsicherte Tüssenkruppbeschäftigte, noch für die alleinerziehende Teilzeitkraft bei Rossmann, noch für die ausgegrenzten ohne festen Job.

00:05:34: Links ist noch Platz.

00:05:37: Die Linke konnte ihr Ergebnis von landesweit drei Komma acht Prozent im Jahr zwei Tausend Zwanzig auf nun fünf Komma sechs Prozent verbessern.

00:05:46: Die Erfolge erreichen noch nicht die Rekorde in der Zeit der Finanz- und Währungskrise zwei Tausend Zehn bis zwei Tausend Elf, stabilisieren aber den bundesweiten Aufwuchs nach der Abspaltung des Linkskonservativen Flügels um Sarah Wagenknecht.

00:06:00: Die Erfolge in Köln, zehn Komma acht Prozent und zwei Direktmandate bei der Ratswahl, verdanken sich einer Schwerpunktsetzung der Kampagne auf die Themen Mieten und Wohnraum.

00:06:10: In Köln erreicht die Zufriedenheit beim Thema Wohnen und Mieten nur noch achtzehn Prozent und damit den landesweiten Tiefstand, während die Zufriedenheit in den Regionen Ruhr Ostwestfalen, Lippe und Duisburg relativ hoch ist, wo es einerseits eine hohe Eigentumsquote und andererseits immer noch große öffentliche Bestände gibt.

00:06:29: Auch der vorbildliche Kölner Wahlpakt spielte gewiss eine Rolle.

00:06:33: Die Massenmedien geißelten, diese bizarre Wahlkampfeinigung zwinge die Parteien, nur positiv über Migration zu sprechen.

00:06:41: Im Kern verpflichteten sich die Parteien darauf, nicht auf Kosten von unter uns lebenden Menschen Wahlkampf zu betreiben und inhaltlich fair zu bleiben sowie keine Vorurteile gegen hier lebende Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge zu schüren oder in den eigenen Reihen zu dulden.

00:06:59: Probleme durch Migration sollen in Köln nicht stattfinden, zumindest nicht im Wahlkampf, hieß es etwa in einem Kommentar des NRW-Regionalfensters des TV-Senders RTL.

00:07:09: Doch so ein Pakt bleibt eine blutleere Willensbekundung, wenn ihm nicht konkrete Projekte zur Stabilisierung von Lebensverhältnissen und Lebenshaltungskosten zugrunde gelegt werden können.

00:07:21: Antifaschistische Wirtschaftspolitik aber mit wem?

00:07:25: Die Erfolge der Linken, ihre gestiegenen Kompetenzwerte, der Bedeutungszuwachs der Wirtschaftspolitik im Bewusstsein der Bevölkerung, punktuelle erfolgreiche Kooperationen auf kommunaler Ebene und der Schwung der Jugend eröffnen neue Perspektiven für die Entwicklung von linken Mehrheiten.

00:07:42: Die Grünen sackten von ihrem Allzeithoch von zwanzig Prozent, dass sie zwei Tausend zwanzig mit dem Schwung von Fridays for Future erzielt hatten, auf nun dreizehn Komma fünf Prozent ab.

00:07:53: Man traut offenbar der Partei, die neben der christlich-demokratischen Union das Land regiert, kaum Lösungskompetenzen zu.

00:08:00: Sie verlor ihre Oberbürgermeisterposten, Uwe Schneidewind in Wuppertal oder muss zumindest in die Stichwahlen, in Köln, Bonn und Aachen.

00:08:09: Das grün-schwarze Erfolgsmodell der Zukunft entpuppte sich als Kopfgeburt, weil ihm ein sozial- und finanzpolitischer Unterbau fehlt.

00:08:17: Ein solcher Unterbau fehlt jedoch auch einem hypothetischen Linksbündnis, solange die SPD die soziale Spaltung ausblendet.

00:08:24: Mit ihrer Selbstdemontage verhindert die Sozialdemokratie progressive Gestaltungsmehrheiten und damit auch eine antifaschistische Wirtschaftspolitik.

00:08:34: Einen AfD-Oberbürgermeister zu verhindern, auch mit der CDU, ist notwendig, ersetzt aber nicht die Erarbeitung gemeinsamer Inhalte in den Räten, mit denen die AfD zum Offenbarungseid gezwungen werden kann.

00:08:47: Was jetzt auf uns zukommt?

00:08:50: Im Herbst werden wir eine neue Agenda, zwei Tausend Dreißig Diskussion bekommen.

00:08:55: Um vom Systemumbau abzulenken, wird die CDU sozial- und wirtschaftspolitische Debatten mithilfe migrantenfeindlicher Ressentiments austragen.

00:09:03: Von hier geht die Gefahr aus.

00:09:06: Gleichzeitig drängt sie die SPD dazu, den Umbaukurs mitzugehen, mit dem Argument, Sozialbetrug vonseiten illegaler Migranten zu unterbinden und den Abstand zu den hart Arbeitenden wiederherzustellen.

00:09:17: Die andere Option für die SPD wäre, auf den Druck der Linken und ihre populären Angebote einzugehen oder eigene vorzulegen.

00:09:25: Die Wohnungsfrage ist ein Ort für solche Programmatik und Kampagnen, bildet aber nur einen Teil der materiellen Lebensbedingungen ab, unter denen die Lohnabhängigen ihre Arbeitskraft reproduzieren wollen.

00:09:36: Die AfD wird nur da konstruktiv im Rat mitarbeiten, wo sie CDU-Inhalte als eigene ausstellen kann.

00:09:43: Sie setzt darauf, dass die formale Brandmauer bei Posten gerade noch stabil ist, aber inhaltlich nicht über eine Ratsperiode belastbar ist.

00:09:51: Die Uhr tickt.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.