Der Kommunist, der Rumänien in den Kapitalismus führte – von Yves-Pierre Detemple

Shownotes

Der Tod des ersten postkommunistischen rumänischen Staatsoberhaupts Ion Iliescu ruft die Tragik einer unvollendeten Revolution in Erinnerung, aber auch die Erkenntnis, dass der Weg Osteuropas in den Neoliberalismus nicht unangefochten blieb.

Artikel vom 19. August 2025: https://jacobin.de/artikel/realsozialismus-wende-iliescu-rumaenien-osteuropa-kommunismus-1989-neoliberalismus

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00:00:00: Der Kommunist, der Rumänien in den Kapitalismus führte.

00:00:05: Der Tod des ersten postkommunistischen rumänischen Staatsoberhaupts, Ion Iliescu, ruft die Tragik einer unvollendeten Revolution in Erinnerung, aber auch die Erkenntnis, dass der Weg Osteuropas in den Neoliberalismus nicht unangefochten blieb.

00:00:20: Von Yves Pierre de Tumple.

00:00:23: Mit Ion Iliescu ist am fünften August eine der schillerndsten Figuren des postkommunistischen Osteuropa in Bucharest gestorben.

00:00:31: Als erster Präsident Rumäniens nach der Revolution von Ninzehntundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundund.

00:00:56: Unter seiner Präsidentschaft vollzog Rumänien eine neoliberale Transformation, die tiefe soziale Ungleichheiten hervorrief und den Aufstieg einer neuen Wirtschaftselite begünstigte.

00:01:08: Ilieskus Politik verankerte das Land fest in westlichen Institutionen und Bündnissystemen und blockierte zugleich die Herausbildung radikaldemokratischer, antikapitalistischer Alternativen.

00:01:20: Sein Tod bietet Anlass, sowohl die widersprüchliche Entwicklung der rumänischen Übergangsphase, als auch das Scheitern einer möglichen Epochenalternative neu zu betrachten.

00:01:31: Vom Parteifunktionär zum Revolutionsführer.

00:01:36: Ilieskus Lebensweg spiegelt die Tragik einer ganzen Generation linker Intellektueller im osteuropäischen Realsozialismus.

00:01:44: Geboren am dritten März, in Oltenica, südöstlich von Bucharest, schloss er sich früh der kommunistischen Bewegung an.

00:01:53: Zunächst gehörte er zur technokratischen Funktionselite des Ceausescu-Regimes, wandte sich jedoch nineteenhundert-einundsiebzig, gegen dessen zunehmend autoritären Kurs und nationalistische Ideologie.

00:02:06: Als Parteisekriter und Regionalpolitiker in Timishuara und Iyashi, erlangte er in den neunzehundertsebziger Jahren durch pragmatische Amtsführung und Dialogbereitschaft große Popularität.

00:02:18: Seine schrittweise Entfernung aus den Machtstrukturen, die schließlich in der Leitung eines technischen Verlags endete, verschaffte ihm rückblickend jene Glaubwürdigkeit, die ihn beim Zusammenbruch des Regimes zur zentralen Führungsfigur werden ließ.

00:02:31: Am zweiundzwanzigsten Dezember, neunzehnhundertneunundachtzig, übernahm die im Zuge der Revolution gegründete Front zur nationalen Rettung, FNR, mit Iliescu an der Spitze die Staatsgewalt und setzte mit Unterstützung der Armee der Diktatur ein Ende.

00:02:46: Die alten Machtstrukturen, einschließlich der großen Nationalversammlung, des Staatsrates und der Regierung, wurden aufgelöst, und mit dem Kommunikät des Rates der Front zur nationalen Rettung an das Land.

00:02:57: Der Beginn einer neuen Ära verkündet.

00:03:00: Nach dem standrechtlichen Todesurteil gegen Ceausescu und der anschließenden Erschießung von ihm und seiner Frau drei Tage später erklärte die FNR den endgültigen Sieg der Revolution.

00:03:11: In dieser Phase genoss sie nahezu uneingeschränkte Zustimmung in der Bevölkerung.

00:03:16: Iliescu verkörperte für die meisten Rumäninnen und Rumänen Stabilität, Orientierung, und die Verheißung eines demokratischen Neubegins.

00:03:25: In ihm sahen sie den Garanten gegen einen Rückfall in autokratische Verhältnisse oder ein Abgleiten ins Chaos, einen Brückenbauer zwischen den überlebenden Resten der alten Machtstrukturen und den gesellschaftlichen Erwartungen nach demokratischem Aufbruch.

00:03:40: Doch die Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus, die viele der Demonstranten auf den Straßen von Timisoara und Bucharest beflügelte, zerschlug sich schnell.

00:03:49: Iliescu stand unter doppeltem Druck.

00:03:52: Einerseits drängten neu formierte antikommunistische Gruppen und Parteien, vielfach unterstützt von westlichen Institutionen wie dem US-amerikanischen National Endowment for Democracy, NED, auf eine schnelle Übernahme westlicher Demokratie und Wirtschaftsmodelle.

00:04:08: Andererseits knüpften internationale Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds, IWF.

00:04:15: und die Weltbank dringend benötigte Kredite an die Umsetzung neoliberaler Wirtschaftsreformen.

00:04:20: Wie in allen anderen realsozialistischen Ländern wurden Hoffnungen auf einen Mittelweg zwischen Ost und West schnell erstickt, als ein alternatives Demokratiemodell möglich schien.

00:04:33: Zunächst versuchte Iliescu tatsächlich einen eigenständigen Weg einzuschlagen.

00:04:37: Sein Konzept zielte auf eine partizipative Demokratie jenseits der traditionellen Parteienherrschaft.

00:04:43: getragen von gesellschaftlichem Konsens und revolutionärer Erneuerung.

00:04:48: Die FNR sollte als zentrale politische Kraft des Landes eine informelle und offene Verbindung zwischen Bevölkerung und Staat bilden und allen politischen wie sozialen Strömungen eine Plattform bieten.

00:05:00: Die Regierung hätte in diesem Modell primär eine administrative Funktion übernommen, während der politische Pluralismus vor allem innerhalb der Front selbst stattgefunden hätte.

00:05:09: Dem widersprach jedoch dass bereits am einunddreißigsten Dezember nineteenhundertneunundachtzig ein Parteiengesetz verabschiedet wurde.

00:05:18: Die Vertreter der neu gegründeten Parteien wurden eingeladen, dem Rat der FNR beizutreten, was diese jedoch ablehnten.

00:05:26: Bei freien und demokratischen Wahlen, die als Teil eines offenen Wettstreits der Ideen gedacht waren, wäre die Staatsmacht als revolutionäre soziale Massenbewegung gegen die konterrevolutionären, undemokratischen Kräfte der Rechten angetreten.

00:05:41: Die Umwandlung des Rates der FNR in den provisorischen Rat der nationalen Einheit am neunten Februar, der Vertreter der neuen Parteienaufnahme und als Ersatzparlament fungierte, markierte schließlich das endgültige Scheitern von Iliaskusprojekt und besiegelte die Rückkehr Rumäniens in die historische Normalität.

00:06:01: Die frühen nineteenhundertneunziger Jahre waren von einer tiefen gesellschaftlichen Polarisierung geprägt.

00:06:08: Verspätete Antikommunisten die sich bereitwillig in den Dienst des Neokonservatismus stellten, bekämpften die FNR mit allen Mitteln.

00:06:16: Aus diesem Umfeld speisten sich die wiederholten Gewaltexzesse, die nineteenhundertneunzig Bucharest erschütterten.

00:06:23: Doch die revolutionäre Bewegung währte sich und gab nicht kampflos auf.

00:06:28: Eine zentrale Rolle spielten die sogenannten Minariaden.

00:06:32: Interventionen von Bergarbeitern zur Verteidigung der Revolution.

00:06:36: die von der bürgerlichen Presse pauschal als Aktionen eines kommunistischen Mops diffamiert wurden.

00:06:42: Diese Einsätze führten im westlichen Ausland zu einer nachhaltigen Diskreditierung Iliaskus.

00:06:47: Im eigenen Land dagegen galt er vielen weiterhin als Garant politischer Stabilität.

00:06:53: Entgegen der gängigen Lesart war das Eingreifen der Bergarbeiter weniger ein Rückfall in autoritäre Strukturen, sondern viel mehr Ausdruck und Höhepunkt eines verzweifelten Widerstands der Bevölkerungsmehrheit, gegen die heraufziehende neoliberale Kontarrevolution.

00:07:09: Iliescu stand dabei zwischen den Fronten.

00:07:12: Er instrumentalisierte die Bergarbeiter zur Sicherung seiner Macht, war jedoch nicht in der Lage, die fortschreitende Dynamik der kapitalistischen Restauration aufzuhalten.

00:07:22: Statt zu experimentieren, entschied er sich für die Nachahmung bestehender Modelle und gab damit die Vision einer eigenständigen demokratisch-sozialistischen Alternative zugunsten etablierter neoliberaler Vorbilder auf.

00:07:36: Vor allem die Gerechtigkeit blieb, System immanent, auf der Strecke.

00:07:42: Reformkurs und neoliberale Transformation.

00:07:46: Auch ein dritter Weg in der Wirtschaft, inspiriert von der jugoslawischen Arbeiter Selbstverwaltung, stand zeitweise zur Debatte.

00:07:54: Noch im Sommer, nineteenhundertneunzig, hielten linke politische Analysten eine vollständige kapitalistische Restauration in Rumänien keineswegs für unausweichlich.

00:08:03: Doch bereits im Februar des selben Jahres begann eine eigens eingesetzte Kommission mit der Ausarbeitung eines Programms zur Einführung der freien Marktwirtschaft.

00:08:13: Im April beschloss die Regierung unter massivem internationalen Druck eine schnelle Marktöffnung, der auftackt zur neoliberalen Ära in Rumänien.

00:08:22: Die Bevölkerung wurde zu dieser entscheidenden Richtungsentscheidung nicht befragt.

00:08:26: Mit der beschleunigten Einführung einer Marktwirtschaft nach westlichem Vorbild zerschlug sich endgültig jede Hoffnung auf ein alternatives ökonomisches Modell.

00:08:36: Die sozialen Folgen waren verheerend.

00:08:38: Bis nineteenhundertdreiundneunzig brach die Industrieproduktion um vierzig Prozent ein.

00:08:43: Die Reallöhne sanken drastisch.

00:08:46: Ilieskus Hinwendung zur Sozialdemokratie erwies sich als desperater Versuch, die schlimmsten sozialen Verwerfungen der neoliberalkapitalistischen Umstrukturierung abzumildern.

00:08:58: Sein Leitbild in den ersten Nachwändejahren war eine soziale Demokratie, die politische Öffnung mit begrenztem sozialem Ausgleich verbinden sollte.

00:09:07: Als Referenz diente ihm der schwedische Sozialstaat, der ein vermeintlich ausgewogenes Verhältnis von Marktkräften und staatlicher Regulierung anstrebte, die kapitalistischen Grundwidersprüche jedoch unangetastet ließ.

00:09:19: Während einige Nachbarländer auf wirtschaftliche Schocktherapien setzten, wählte Rumänien unter Iliescu einen graduellen Transformationspfad.

00:09:27: Doch die historische Chance, einen grundlegend anderen Gesellschaftsentwurf, eine demokratisch-sozialistische Ordnung, die soziale Gerechtigkeit, kollektive Eigentumsformen und politische Teilhabe über die bloße Formaldemokratie hinaus miteinander verbindet, zu verwirklichen, war vertan.

00:09:45: Statt das Momentum der Revolution zu nutzen, wurde Rumänien ein Paradebeispiel dessen, was die Globalisierungskritikerin Naomi Klein später als Katastrophenkapitalismus bezeichnete.

00:09:56: nämlich Privatisierungen, die Herausbildung einer neuen Wirtschaftselite, den Verfall sozialer Infrastruktur.

00:10:04: Die alte Nomenklatura und ehemaliges Sekuritate-Kader passten sich nicht nur an, sondern wurden zu aktiven Triebkräften des kapitalistischen Umbaus.

00:10:15: Ilieskus vielschichtiges Erbe.

00:10:19: Ilieskus Präsidentschaften, Nach einer kommissarischen Amtsführung von Dezember, newtonundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundundund.

00:10:55: Mit dem NATO-Beitritt, und der beschleunigten EU-Integration wurde Rumänien fest in die westliche Sicherheits- und Wirtschaftsarchitektur eingebunden.

00:11:05: Iliescu bleibt eine der widersprüchlichsten und zugleich prägensten Figuren der jüngeren rumänischen Geschichte.

00:11:11: Revolutionär und pragmatischer Reformer, Architekt des Systemwechsels und Wegbereiter einer marktkonformen Demokratie.

00:11:20: Vom ersten Kommuniké nach Csaucescus sturz bis hin zur euro-atlantischen Integration Gestaltete er über Jahrzehnte die Geschicke des Landes.

00:11:28: Bis zuletzt bestimmten zwei Leitmotive sein Denken.

00:11:32: Die Vision eines solidarischen Staates, getragen von gesellschaftlichem Konsens und die Überzeugung, stets das politisch machbare getan zu haben.

00:11:42: Am siebten August erte Rumänien seinen ehemaligen Staatspräsidenten mit einem nationalen Trauertag.

00:11:49: Dass der amtierende neoliberale Präsident Niko Chor Dahn und der Vorsitzende der Regierungspartei USR Union rettet.

00:11:56: Rumänien, Dominik Fritz, ein aus Deutschland stammender Anhänger marktradikaler Positionen, dem staatlichen Trauerakt demonstrativ fernblieben, verdeutlicht die anhaltende gesellschaftliche Spaltung.

00:12:08: Während die Rechte Iliescu pauschal als Kommunisten verurteilt, ist er aus linker Perspektive der Mann, der eine historische Chance vertan hat.

00:12:17: Auch seine eigene Partei, die aus der FNR hervorgegangene sozialdemokratische Partei, deren Ehrenvorsitzender er bis zuletzt war, hat die Kapitulation vor dem Neoliberalismus längst verinnerlicht.

00:12:29: Dass in Rumänien bis heute keine tragfähige radikal-demokratische Alternative zum Kapitalismus entstehen konnte, offenbart, wie tief das Trauma des gescheiterten Übergangs nachwirkt.

00:12:40: Ilieskus Politik, die auf Stabilität, graduelle Reformen und die Übernahme westlicher Modelle setzte, unterband solche Ansätze strukturell.

00:12:51: Durch die pragmatische Adaption seiner ursprünglichen revolutionären Konzepte entzog er ihnen die ideologische Grundlage, während die traumatisierte Bevölkerung in der Westorientierung Sicherheit suchte.

00:13:03: Diese Paradoxedynamik erklärt, warum ausgerechnet seine verwässerte Revolutionsprogrammatik von ein wichtiger historischer Einschnitt.

00:13:23: Sie hat bewiesen, dass auch Diktaturen zu Fall gebracht werden können und war insofern siegreich.

00:13:29: Zugleich offenbart der rasche Triumph des globalen Kapitalismus, wie mächtig seine strukturellen Zwänge wirken.

00:13:36: Ilieskus Tragik bestand darin, dies zu spät erkannt und sich ihnen schließlich untergeordnet zu haben.

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