Als Sozialisten wussten, wie man die Migrationsfrage beantwortet – von Bafta Sarbo

Shownotes

Die Migrationspolitik bekämpft nicht Migration, sondern die Rechte migrierter Menschen – zur Freude des Kapitals, das mit prekärer Arbeitskraft versorgt wird. Dass vor allem diese Ausnutzung von Einwanderern verhindert werden muss, wusste schon der Sozialistenkongress von 1907.

Artikel vom 01. Mai 2025: https://jacobin.de/artikel/migration-sozialistenkongress-bafta-sarbo

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00:00:00: Als Sozialisten wussten, wie man die Migrationsfrage beantwortet.

00:00:06: Die Migrationspolitik bekämpft nicht Migration, sondern die rechte migrierter Menschen, zur Freude des Kapitals, das mit prekärer Arbeitskraft versorgt wird.

00:00:15: Dass vor allem diese Ausnutzung von Einwanderern verhindert werden muss, wusste schon der Sozialistenkongress von nineteenhundertsieben.

00:00:25: Migration ist das wichtigste Mobilisierungsthema des aktuellen Rechtsrucks.

00:00:29: nahezu alle im Bundestag vertretenen Parteien sprachen sich im vergangenen Wahlkampf auf die eine oder andere Weise dafür aus, die Migration zu begrenzen.

00:00:38: Andererseits war die ganze Zeit von einem Fachkräftemangel die Rede, den nicht zuletzt die Migration zu beheben helfen soll.

00:00:45: Man könnte meinen, das sei widersprüchlich, doch ein Blick nach Großbritannien beweist das Gegenteil.

00:00:51: Dort wurde der Brexit durchgedrückt, indem man Angst vor billigen Arbeitskräften aus dem EU-Mitgliedsland Polen schürte.

00:00:58: Anschließend wurden die negativen Effekte des Brexits aber ironischerweise dadurch abgeschwächt, dass man Anwerbeabkommen mit Nicht-DU-Ländern abschloss.

00:01:07: Man kann also auch rassistische Stimmung gegen Ausländer zur Mobilisierung nutzen, ohne auf die positiven Wirtschafts-Effekte von Migration verzichten zu müssen.

00:01:15: Migration lässt sich nicht verhindern, und das ist auch nicht im Interesse des deutschen Kapitals.

00:01:20: Je prekierer die Arbeitskräfte sind, desto ausgelieferter sind sie.

00:01:25: Das Kapital ist auf den flexiblen Zugriff auf Arbeitskräfte angewiesen, um profitabel produzieren zu können.

00:01:31: Deshalb ist jede noch so rassistische Mobilisierung gegen Migrantinnen und Migranten kein Kampf gegen Migration an sich, sondern ein Angriff auf die Rechte dieser Menschen.

00:01:41: Diese sind dem Kapital dann besonders ausgeliefert, denn es geht um Rechte, die Arbeiterinnen und Arbeiter in vergangenen Klassenkämpfen hart errungen haben.

00:01:50: Es sind diese Rechte, die Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus häufig entsagt werden, ob es ein Mindestlohn, Arbeitszeitbegrenzung oder sichere Arbeitsbedingungen sind.

00:02:00: Mittlerweile lässt sich von einer Brandmauer zwischen den Rechten und einer vermeintlichen Mitte in Fragen der Migration nicht mehr sprechen.

00:02:08: Die Ampelregierung setzte bereits das um, was von der AfD erwartet oder von Friedrich Merz befürchtet wird.

00:02:15: Allein im Jahr twenty-vierundzwanzig wurden zwanzigtausend vierundachtzig Menschen abgeschoben, zwanzig Prozent mehr als im Vorjahr, zwei Komma, drei zwei acht Geflüchtete, sind im vergangenen Jahr an den EU-Außengrenzen im Mittelmeer gestorben.

00:02:28: Nicht in Folge einer drohenden rechtsradikalen Politik, sondern einer Politik der Mitte, die bereits Realität ist.

00:02:34: Die Forderung, insbesondere kriminelle Ausländer endlich konsequent abzuschieben, wird immer mehr rechtlich untermauert.

00:02:41: Gesinnungsprüfungen wie das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels während des Asyl- oder Einbürgerungsprozesses gehören mittlerweile zu selbstverständlichen Anforderungen der sogenannten wehrhaften Demokratie.

00:02:54: Ende der Zweitausender war das NPD-Plakat mit der Aufschrift, ist der Ali kriminell, in die Heimat, aber schnell.

00:03:01: Noch eine besondere Provokation, die sich nur Nazis trauen konnten.

00:03:05: Jetzt ist es etwas, dass so ähnlich auch die ehemals linken Mitteparteien SPD und Grüne von sich geben.

00:03:12: Guter Willen macht kaum Unterschied.

00:03:15: Nicht nur in Deutschland ist das Thema seit Jahren politisch leitend.

00:03:19: Trump gewann seine erste Amtszeit mit dem Slogan Build That Wall.

00:03:23: Eine Mauer sollte Menschen aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern an der Einreise in die USA hindern.

00:03:30: Dass dieser Bau bereits unter Obama begann, unterschlagen sowohl rechte Trump-Anhänger als auch Liberale, die einen, weil sie sich als diejenigen präsentieren wollen, die die Probleme im Land lösen, die anderen, weil sie sich moralisch von rechter Politik abgrenzen wollen, ohne davon tatsächlich abkehren zu müssen.

00:03:46: Die liberale Argumentation, Deutschland brauche Migration, geht am eigentlichen Kern des Problems vorbei.

00:03:53: Auch weil es nicht besonders human ist, Migrantinnen und Migranten auf ihre Funktion als Humankapital zu reduzieren.

00:04:00: Es wird dabei auch immer wieder zurecht darauf verwiesen, dass es widersprüchlich ist, ihnen gleichzeitig vorzuwerfen, sie würden einerseits Deutschen ihre Jobs wegnehmen und andererseits nur nach Deutschland kommen, um hier faul die Sozialsysteme auszunutzen.

00:04:14: Dieser Widerspruch zwischen Migrantinnen und Migranten als nützliche Arbeitskräfte und als problematische Fremdkörper trifft den Kern der Migrationsdebatte.

00:04:23: Diese spielt unterschiedliche Teile der Arbeiterklasse mit dem Versprechen auf relative Privilegien gegeneinander aus.

00:04:30: Hier fungiert Rassismus als politischer Mobilisierungsfaktor.

00:04:34: Dabei ist er flexibel und kann sich den gegebenen Bedingungen und Argumenten anpassen.

00:04:39: Während Gastarbeitern einst unterstellt wurde, sie würden Deutschen die Jobs wegnehmen, werden sie heute positiv gegen Asylsuchende und andere Geflüchtete ausgespielt, nach dem Motto Die sind wenigstens zum Arbeiten hergekommen, aber die Asylbewerber wollen überhaupt nicht arbeiten.

00:04:54: Das mobilisiert unterschiedliche Teile der Arbeiterklasse, auch diejenigen, die selbst eingewandert sind und sich darüber aufwerten wollen.

00:05:02: Die aktuelle Konjunktur des Rassismus wurde durch ein erfolgreiches Hegemonie-Projekt Rechterkräfte ermöglicht.

00:05:09: Diese reagierten auf real existierende Probleme wie Präkarisierung und Abstiegsangst, indem sie rassistische Konkurrenz zu Schüren begannen.

00:05:18: Die Antimigrationsposition von rechtssozialdemokratischen Kräften wie dem BSW ist dabei anders motiviert als die von rechtsradikalen wie der AfD.

00:05:27: Denn letzteren geht es nicht um eine Reduktion der Arbeiterkonkurrenz.

00:05:31: Das Objekt ihrer Politik sind deutsche und nicht deutsche Arbeiter.

00:05:35: Eine rechte Sozialdemokratie wie die Sarah Wagenknechtz schafft es zumindest, Fluchtursachen wie Krieg und imperialistische Unterentwicklung als Ursachen der Auswanderung zu benennen.

00:05:46: Ein Aspekt der bei liberalen Linken oft hinten runterfällt.

00:05:49: Denn während es Migration schon immer gab, ist sie für viele Migrantinnen und Migranten und insbesondere für Geflüchtete eben auch ein Gewaltverhältnis.

00:05:58: Diese Differenz zu rechten macht in der Analyse zwar einen Unterschied, die politische Konsequenz bleibt jedoch migrationspolitisch die gleiche, wenn schärfere Grenzkontrollen und eine schärfere Regulierung des Asylrechts gefordert werden.

00:06:14: Bereits in der Nachkriegszeit vertraten die deutschen Gewerkschaften eine ähnliche Position.

00:06:19: Auf Anwerbung von Gastarbeiter antworteten sie mit der Forderung eines Inländerprimats, wodurch Menschen ohne dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt wurden.

00:06:30: Die Arbeitsbedingungen für deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter waren damals relativ gut, da die gewerkschaftliche Einbindung recht stark war.

00:06:38: Aus diesem Grund wollte das deutsche Kapital billige und unorganisierte Arbeitskräfte in Form von Gastarbeiter anwerben.

00:06:44: Die befürchtete Konkurrenz zwischen deutschen Stammbillegschaften und migrantischen Arbeiterinnen und Arbeitern wurde von den Gewerkschaften nicht mit Solidarität oder der Forderung nach weitestgehender Einbindung der Gastarbeiter beantwortet, sondern mit relativer Privilegierung deutscher Beschäftigter.

00:07:00: So kam es in den letzten Jahren zu wilden Streiks, die weitestgehend von unten ohne die großen Gewerkschaften organisiert wurden.

00:07:08: Heute versuchen sich die DGB-Gewerkschaften zwar an verschiedenen antirassistischen Kampagnen, Behandeln den Rassismus dabei, aber vor allem als Antidiskriminierungsfrage am Arbeitsplatz.

00:07:18: Dabei konnte die Arbeiterbewegung früher auch anders.

00:07:21: Im August nineteenhundertsieben tagte in Stuttgart der Internationale Sozialistenkongress das höchste Organ der damaligen sozialistischen Bewegung.

00:07:29: Dieser verfasste eine Resolution, die mit der Feststellung beginnt, dass Migration ein Ergebnis der Unterschiede in den Lebensstandards verschiedener Länder aufgrund des Kapitalismus darstellt.

00:07:40: Sie erkennt zwar an dass das Kapital migrantische Arbeitskräfte als Streikbrecher einsetzt, stellt sich jedoch konsequent gegen Abschiebungen und spricht sich stattdessen für eine gewerkschaftliche Einbindung und für schnelle Möglichkeiten zur Einbürgerung aus.

00:07:54: Migration war im Deutschen Kaiserreich geprägt durch die Bedürfnisse der aufkommenden Industrialisierung, aber auch durch den wachsenden Bedarf an Arbeitskräften in Folge der Auswanderung vieler Deutscher, vor allem nach Nordamerika.

00:08:08: Die größte migrantische Gruppe im Deutschen Kaiserreich waren Menschen aus Polen, die sich vor allem in Berlin sowie im Ruhegebiet ansiedelten und von den dort ansässigen Unternehmen als Lohndrücker und Streikbrecher eingesetzt wurden.

00:08:20: Auch innerhalb der gewerkschaftlichen Linken kamen damals Forderungen nach Grenzkontrollen auf.

00:08:25: Diese waren insofern neu, als Migration vorher relativ unkontrolliert und vor allem zwischen den unterschiedlichen Staaten des Deutschen Bundes stattfand.

00:08:34: Das sollte sich im Kaiserreich ändern.

00:08:36: Durch Innovationen des Transportwesens während der Industrialisierung war Migration in solcher Größenordnung zum ersten Mal überhaupt möglich.

00:08:43: Der linke Flügel der Arbeiterbewegung schaffte es trotzdem, eine prinzipielle Haltung einzunehmen, die den Kern der Problematik benannte.

00:08:51: Die Resolution adressiert Fluchtursachen und falsche Versprechungen bessere Arbeitsbedingungen sowie die mit untermangelnde, gewerkschaftliche Organisierung in den Herkunftsländern.

00:09:02: Die Eindämmung der Migration sei fruchtlos und ihrem Wesen nachreaktionär.

00:09:06: Die Lösung für Probleme die sie für die einheimische Arbeiterklasse verursachen könnte, bestehe, insbesondere nicht in einer Beschränkung der Freizügigkeit und in einem Ausschluss fremder Nationalitäten oder Rassen.

00:09:18: Der Kongress ging sogar noch weiter und forderte Fürsorge für neu ankommende Einwanderer, damit sie nicht von vornherein der Ausbeutung durch die Schmarotzer des Kapitals anheimfallen.

00:09:29: Das Menschenrecht ist nicht genug.

00:09:32: Unser Land wünscht sich weniger Migration, stand auf einem Wahlplakat des BSW, zur vergangenen Bundestagswahl.

00:09:39: Das mag stimmen, aber das ist eben das Ergebnis rechter Politik.

00:09:43: Der Soziologe Stuart Hall sagte einmal, die Aufgabe von Politik sei es nicht, Mehrheiten abzubilden, sondern Mehrheiten zu erzeugen.

00:09:51: Entsprechend wäre es die Aufgabe einer sozialistischen Linken, nicht nur am Asylrecht als Menschenrecht festzuhalten, auch wenn das Zweifels ohne wichtig ist, sondern es als eine Frage der Klassensolidarität zu thematisieren, an der auch deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter ein Interesse haben sollten.

00:10:07: Sowohl die rechten Sozialdemokraten um Wagenknecht als auch ihre humanistisch gefärbten ehemaligen Genossinnen und Genossen in der Linkspartei fallen hinter diese bereits gewonnene Erkenntnis zurück.

00:10:19: Migration wird entweder als eine Bedrohung dargestellt, die die Solidarität innerhalb der heimischen Arbeiterklasse schwächt oder man führt einen Kampf für Migration als einen volontaristischen Kampf für Menschenrechte, ohne ihn als eine Form der Klassenpolitik zu vermitteln.

00:10:33: Dass es diese klassenpolitische Position in der Debatte heute so nicht mehr gibt, liegt sicher auch am Feelen einer relevanten Arbeiterbewegung oder überhaupt gesellschaftlich relevanter, sozialistischer Kräfte, die diese Vermittlung schaffen könnten.

00:10:46: Das ist jedoch die einzige Möglichkeit, den gesellschaftlichen Rassismus langfristig zurückzudrängen.

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