Belgiens Gewerkschaften streiken gegen die Regierung – von Daniel Kopp
Shownotes
In Belgien haben die Gewerkschaften den Sozialstaat besser verteidigt als in den meisten anderen europäischen Ländern. Jetzt soll ein dreitägiger Streik die neuesten Kürzungspläne verhindern.
Artikel vom 23. November 2025: https://jacobin.de/artikel/bart-de-wever-streik-belgien-austeritaet-n-va-mr-generalstreik
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Transkript anzeigen
00:00:00: Belgiens.
00:00:00: Gewerkschaften streiken gegen die Regierung.
00:00:04: In Belgien haben die Gewerkschaften den Sozialstaat besser verteidigt als in den meisten anderen europäischen Ländern.
00:00:11: Jetzt soll ein dreitägiger Streik die neuesten Kürzungspläne verhindern.
00:00:18: Im vergangenen Monat waren die Straßen von Brüssel rot, grün und blau gefärbt.
00:00:23: Bei einer Großdemonstration am vierzehnten Oktober folgten einhundertvierzigtausend Arbeiter dem Aufruf der drei belgischen Gewerkschaftsverbände.
00:00:31: sozialistisch, christlich und liberal, gegen die Kürzungen der rechten Regierung bei Löhnen, Renten und öffentlichen Dienstleistungen zu demonstrieren.
00:00:41: Es war die größte Demonstration des Landes im einundzwanzigsten Jahrhundert.
00:00:45: Es war auch die zwölfte Massenmobilisierung seit dem Amtsantritt der Regierung, die wegen der Farben der Koalitionsparteien den Spitznamen Arizona trägt, nach den Wahlen von zwei Tausend vierundzwanzig.
00:00:58: Die belgische Arbeiterbewegung hat damit trotz struktureller wirtschaftlicher Veränderungen und jahrzehntelanger neoliberale Angriffe, bewiesen, dass sie die Macht hat, eine Massenbewegung von Arbeiterinnen und Arbeitern zu mobilisieren, um soziale Rechte, Lebensstandards und eine gerechte Besteuerung zu verteidigen.
00:01:17: Seit Anfang twenty-fünfundzwanzig haben die militanten Gewerkschaften Belgiens ihre Mobilisierungen zunehmend eskaliert, darunter ein Streik von dreißigtausend Lehrern und Lehrerinnen im Januar.
00:01:28: eine zentrale Demonstration mit hunderttausend Teilnehmern in Brüssel im Februar, ein Generalstreik im März, mehrere regionale und sektorale Aktionen vor dem Sommer und die zentrale Demonstration mit einhundertvierzigtausend Teilnehmern im Oktober.
00:01:42: Nun folgt eine weitere historische Eskalation.
00:01:46: Von Montag bis Mittwoch dieser Woche wird die Arbeiterbewegung ihre üblichen eintägigen Aktionen auf einen dreitägigen Streik ausweiten, da sich die politische Dynamik vor Weihnachten auf einen Showdown zu bewegt.
00:01:58: Ein Streik im Transportwesen am Montag wird sich am Dienstag zu einem Streik im öffentlichen Dienst ausweiten und am Mittwoch in einem Generalstreik mit Streikposten im ganzen Land gipfeln.
00:02:09: Bis jetzt haben weder die Regierung noch die Gewerkschaften nachgegeben, auch weil sehr viel auf dem Spiel steht.
00:02:16: Im Grunde versucht die Regierung das nach wie vor starke belgische Sozialmodell umzustrukturieren, dass die Gewerkschaften im Laufe des letzten Jahrhunderts errungen und verteidigt haben.
00:02:26: Mit den Mobilisierungen in diesem Jahr ist es ihnen gelungen, Teile der Regierungsagenda zu blockieren und damit zu zeigen, dass die organisierte Arbeiterschaft noch immer Einfluss hat.
00:02:37: Das belgische Modell, das sich im Vergleich zu seinen europäischen Pendants bisher recht gut behauptet hat, soll umstrukturiert und geschwächt werden.
00:02:45: Deshalb steht so viel auf dem Spiel.
00:02:47: Aber wird diese nächste Eskalation fast ein Jahr nach der Machtübernahme der Arizona-Koalition ausreichen, um die Pläne der Regierung zu durchkreuzen?
00:02:57: Europäischer Ansatz.
00:03:00: Als weiteres Beispiel für den allgemeinen Rechtsruck in Europa gewannen, bei den Wahlen in Belgien im vergangenen Jahr, rechte Kräfte sowohl nördlich als auch südlich der Sprachgrenze die Mehrheit.
00:03:12: Die größten Regierungsparteien sind die flämisch-nationalistische NVA und die nicht mehr ganz so liberale valonische MR, unterstützt von den zentristischen Lesengagés sowie der flämischen sozialdemokratischen Vorreit.
00:03:25: Sie hielten das flämische Equivalent der AfD, den aufstrebenden rechtsextremen Flams belangen.
00:03:31: Von der Macht fern und bildeten Koalitionen auf regionaler und föderaler Ebene.
00:03:37: Bis dato hatten selbst unter föderalen Rechtsregierungen linke Kräfte im französischsprachigen Süden, insbesondere die Mitte-Links-Sozialisten, die Mehrheit in der Regionalregierung inne.
00:03:48: Angetrieben durch den Fokus der EU-Politik auf Wettbewerbsfähigkeit.
00:03:53: Und das Defizitabbauverfahren der Europäischen Kommission zur Durchsetzung der Haushaltsdisziplin schlug die belgische Regierung nun umfassende neoliberale Reformen der Arbeitsgesetzgebung, der Renten und der Arbeitslosenversicherung vor.
00:04:07: Während diese Maßnahmen auf die Kaufkraft der Arbeiterinnen abzielen, diskutierte die Koalition zudem Gesetze gegen Proteste und die Einführung von Transparenzvorschriften für die Streikfonds der Gewerkschaften.
00:04:20: All dies dient dazu, den Widerstand der Arbeitnehmer zu schwächen.
00:04:24: Ein Drehbuch, das wir aus Finnland, Frankreich und Italien kennen.
00:04:29: Die Gewerkschaften verurteilten dies umgehend, als den größten Rückschritt für die Arbeitnehmerrechte und den Sozialstaat seit militante Gewerkschaften, Netflix und Netflix, im Rahmen des Nachkriegssozialpakts, dem Kapital erhebliche Zugeständnisse abgerungen hatten.
00:04:45: Seitdem ist der belgische Sozialstaat mit Sozialausgaben in Höhe von rund dreißig Prozent des BIP einer der stärksten in Europa geblieben.
00:04:54: So war Belgien beispielsweise bis jetzt das letzte europäische Land mit einer zeitlich unbegrenzten Arbeitslosenversicherung.
00:05:01: Trotz der regelmäßigen Angriffe der Regierung ist es eines von nur zwei Ländern, die inflationsindexierte Löhne und Renten beibehalten haben, was die Arbeiter in Belgien während der Lebenshaltungskostenkrise der letzten Jahre besser geschützt hat.
00:05:15: Um diesen Angriff auf den Lebensstandard der arbeitenden Klasse zu rechtfertigen, bediente sich der flämische Nationalist und belgische Premierminister Bart de Weber, der abgedroschenen Austeritätsrhetorik vom Gürtel der Enger geschnallt werden muss.
00:05:30: Für viele Arbeitnehmer klingt dies heuchlerisch, nicht nur wegen seines üppigen Gehals und dem seiner Minister.
00:05:36: Vielmehr haben die Parteien der Regierungskoalition vor einem Jahrzehnt selbstbewusst die Steuer- und Sozialversicherungseinahmen des Staates gekürzt.
00:05:44: und damit genau das Haushaltsloch verursacht, dass sie nun zu stopfen behaupten.
00:05:50: In der Zwischenzeit hat die finanzielle Unterstützung für Unternehmen ein Rekordniveau erreicht und sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt.
00:05:58: Das Sparprogramm ist nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine politische Entscheidung.
00:06:03: Der gleiche Betrag kann irgendwie doch für militärische Aufrüstung aufgebracht werden, um Trumps NATO-Ausgabenziel zu erreichen.
00:06:12: Schwächen der Regierung.
00:06:15: Während dieser ganzen Streikwelle gelang es der belgischen Arbeiterbewegung, eine Einheitsfront über die drei Gewerkschaftsbünde, den privaten und öffentlichen Sektor und die Sprachgemeinschaften des Landes hinweg aufrecht zu erhalten.
00:06:27: Diese geeinte Reaktion brachte die Regierung in die Defensive und legte die Widersprüche zwischen ihren verschiedenen Parteien offen.
00:06:35: Die sozialdemokratische Vorreit steht unter Druck, die historischen Errungenschaften der Bewegung, aus der sie hervorgegangen ist, zu verteidigen.
00:06:44: Die rechte MR hat mit dem Versprechen einer höheren Kaufkraft durch niedrigere Einkommenssteuern Wahlkampf gemacht, aber nichts als sinkende Lebensstandards vorgeschlagen.
00:06:54: Die Christdemokraten reagieren trotz ihrer geschwächten Verbindungen zur christlichen Arbeiterbewegung immer noch auf Druck in sozioeconomischen Fragen.
00:07:02: Ein regionaler Lehrerstreik zwang sie in der französisch-sprachigen Wallonie zu einer Kehrtwende.
00:07:08: Und mittendrin versucht der Premierminister das flämische Kapital zufrieden zu stellen, und gleichzeitig die Arizona Koalition zusammenzuhalten.
00:07:17: Zugegebenermaßen gelang es der Regierung einige regressive Maßnahmen durchzusetzen, wie beispielsweise die Begrenzung der arbeitslosen Versicherung auf zwei Jahre.
00:07:26: Dadurch werden einhundertsechzigtausend Menschen, die ihre Leistungsbezüge verlieren, in prekäre Verhältnisse geraten.
00:07:34: Da die Leistungen größtenteils über die Gewerkschaften an Einzelpersonen ausgezahlt werden und somit ein wichtiger Grund für eine Mitgliedschaft sind, stellt dies einen doppelten Angriff auf die organisierte Arbeiterschaft dar.
00:07:47: Dennoch ist es der Arizona-Regierung nicht gelungen, ihre umstrittene Rentenreform auch nur einen Zentimeter voranzubringen.
00:07:54: Das liegt auch daran, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, anders als bei der Frage der arbeitslosen Versicherung über berufliche, regionale und politische Grenzen hinweg einig sind, den Vorschlag zur Anhebung des Rentenalters von fünfundsechzig auf siebenundsechzig Jahre abzulehnen.
00:08:13: Vor allem stößt dabei eine brutale Sanktion von bis zu twenty-fünf Prozent für diejenigen, die vorzeitig in Rente gehen wollen, auf Wut und Widerspruch.
00:08:23: Dies würde insbesondere Frauen und Arbeiter in der Fertigung, Logistik, Reinigung, Pflege und anderen Branchen betreffen, in denen körperlich anstrengende Arbeit zu einer geringen Lebenserwartung bei guter Gesundheit führt, also dem Alter, bis zu dem Menschen noch ohne größere Gesundheitsprobleme ihr Leben genießen können.
00:08:42: Dieser Durchschnitt liegt in Belgien bei nur dreiundsechzig Komma sieben Jahren.
00:08:46: Eine Zahl, die sich in den letzten fünfzehn Jahren nicht verändert hat.
00:08:50: Und ältere Statistiken deuten darauf hin, dass Beschäftigte mit Hochschulabschluss zehn Jahre länger bei guter Gesundheit leben als andere.
00:08:58: All das entlarvt das Argument, dass wir länger leben und daher auch länger arbeiten sollten als Lüge.
00:09:05: Aber es ist nicht nur die Rentenreform, gegen die sich die Arbeiter in Belgien erfolgreich gewährt haben.
00:09:10: In der Vergangenheit hat die belgische Gewerkschaftsbewegung ein generelles Verbot von Nachtarbeit zwischen zwanzig Uhr und sechs Uhr durchgesetzt.
00:09:18: Diese Maßnahme verschafft den Arbeitern eine enorme Verhandlungsmacht bei der Aushandlung von Ausnahmeregelungen mit Arbeitgebern in vierundzwanzig Stundenbranchen wie der Fertigung, Chemie, Pflege und Logistik.
00:09:31: Diese Regelung steht nun unter Beschuss.
00:09:34: Die Arizona-Regierung will die Arbeitskraft verbilligen, indem sie die Definition von Nachtarbeit ändert.
00:09:41: Derzeit erhalten Logistikarbeiter beispielsweise einen höheren Nachtzuschlag für die zehn Arbeitsstunden in diesem Zeitraum.
00:09:47: Ein wichtiger Kaufkraftschub und eine Entschädigung für die gesundheitsschädlichen Auswirkungen a-typischer Arbeitszeiten.
00:09:55: Nach den Vorschlägen der Regierung könnte eine Arbeitnehmerin die Hälfte ihres Nachtzuschlags verlieren, da die Definition auf den Zeitraum zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens geändert wird.
00:10:05: Das könnte einen Verlust von mehreren hundert Euro pro Monat bedeuten.
00:10:09: Der Minister für Arbeit und Wirtschaft, David Clarin Wall, hat eine Investition in Höhe von einer Milliarde Euro durch das US-amerikanische multinationale Unternehmen Amazon, ein Vorhaben, dass weder gute noch viele Arbeitsplätze schaffen wird, ausdrücklich mit dieser Politik in Verbindung gebracht.
00:10:27: Wie die Koalition Make Amazon Pay hervorgehoben hat, ist Amazon ein gewerkschaftsfeindlicher Abrisshammer, der Standards in der gesamten Wirtschaft untergräbt.
00:10:36: Darunter auch menschenwürdige Arbeitsplätze in der Logistikbranche.
00:10:40: Die Regierung zeigt hier ihre wahren Absichten.
00:10:43: Sie will die Überreste der europäischen Sozialdemokratie durch einen räuberischen Kapitalismus nach US-amerikanischem Vorbild ersetzen.
00:10:52: Showdown.
00:10:55: Aufgrund des anhaltenden Drucks durch wiederholte Mobilisierungen im vergangenen Jahr war die Regierung jedoch bisher nicht in der Lage, die Maßnahme im Parlament zur Abstimmung zu bringen und musste Ausnahmeregelungen für bestimmte Sektoren zustimmen.
00:11:09: Nun steuert die politische Dynamik auf einen Showdown zu.
00:11:12: Da sich die Regierung nicht auf diese und andere Maßnahmen einigen kann, sind auch ihre Haushaltsverhandlungen zum Stillstand gekommen.
00:11:20: Premierminister Bart de Wever, der zehn Milliarden Euro im Sozialstaat einsparen will, musste die parlamentarische Haushaltsdebatte mehrfach verschieben.
00:11:28: Zuletzt wandte er sich an den belgischen König, bat um eine Verlängerung der Haushaltsverhandlungen um fünfzig Tage und drohte kurz vor Weihnachten mit seinem Rücktritt.
00:11:37: sollten diese scheitern.
00:11:40: Sein Kollege, Finanz- und Rentenminister Jan Jambon, musste letzte Woche schon eingestehen, dass die Rentenreform um ein weiteres Jahr verschoben werden muss.
00:11:49: Und damit bis in den Krafttreten wird.
00:11:53: Vor diesem Hintergrund werden die Arbeitnehmer nächste Woche erneut streiken.
00:11:57: Der Ausgang ist völlig offen, vom Sturz der Regierung bis zur Umsetzung ihrer unsozialen Maßnahmen.
00:12:04: Im Jahr haben wir gesehen, wie die von den Gewerkschaften angeführte Protestbewegung gegen die Anhebung des Rentenalters in Frankreich durch Immanuel Macron's autoritäre Anwendung des sogenannten Artikels, n.a.
00:12:17: Artikel forty-nine Punkt drei überwunden wurde, der eine Gesetzesänderung ohne parlamentarische Abstimmung verfügte.
00:12:25: Im Jahr zwei tausend vierundzwanzig haben wir gesehen, dass die finnische Arbeiterbewegung trotz eines umfassenden politischen Streiks, der den Export wochenlang lahmlegte, nicht in der Lage war, den Angriff der rechten Regierung auf das nordische Modell abzuwehren.
00:12:40: Aber wir haben auch gesehen, wie vor einigen Tagen in Frankreich die Rentenreform ausgesetzt wurde und wie in Finnland die regierende rechtsextreme finnische Partei in Umfragen nur noch halb so viele Stimmen wie bei den letzten Wahlen erhält.
00:12:54: Ohne den Widerstand der Gewerkschaften wäre all dies nicht geschehen.
00:12:58: Was wird also twenty-fünfundzwanzig in Belgien passieren?
00:13:02: Und wie wird sich das auf die politische Dynamik in den kommenden Jahren auswirken?
00:13:07: Die Bewegung könnte vielleicht an einigen Fronten gewinnen und an anderen verlieren.
00:13:12: Was wir jedoch jetzt bereits wissen, eine einjährige Streikwelle hat Verbindungen zwischen Gewerkschaften und Dutzenden von Organisationen der Zivilgesellschaft aufgebaut, hunderte neue gewerkschaftliche Führungspersönlichkeiten ausgebildet, tausende junge Menschen in die Bewegung gebracht, hunderttausenden von Arbeiterinnen und Arbeitern beigebracht, wie man streikt.
00:13:33: und Millionen über die unsoziale Agenda der Regierungsparteien aufgeklärt.
00:13:38: Darauf lässt sich aufbauen.
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